Heinrich Reinhardt


Sacrifera sacralitas


Zur Erinnerung an das Urphänomen
christlicher Liturgie


Liturgie ist die Verherrlichung Gottes auf Erden!



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Autor Hw. O. Prof. Dr. Heinrich Reinhardt - Hrsg. Hw. Vizeoffizial Mag. Mag. Dr. Alexander Pytlik



Die Heilige Messe ist das Zentrum der Welt!



Vorbemerkung des Herausgebers


Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, anläßlich der ersten feierlichen Darbringung des hl. Meßopfers als Neupriester einen der zahlreichen wissenschaftlichen Beiträge meines hw. Primizpredigers, O. Prof. Dr. Heinrich Reinhardt, herausgeben zu dürfen. Bewußt habe ich dabei auf eine bereits vor zwei Jahren in Österreich erschienene Arbeit zurückgegriffen, um die Aktualität der dargelegten Ergebnisse und Forderungen in Richtung Sakralität herauszustreichen.

Im neuen römisch-katholischen Direktorium für Dienst und Leben der Priester (Kongregation für den Klerus, Gründonnerstag 1994) heißt es nämlich eindringlich: "In einer Zivilisation, die immer mehr sensibel ist für die Kommunikation durch Zeichen und Bilder, wird der Priester all dem sein Augenmerk schenken, was Schmuck und Sakralität der eucharistischen Zelebration erhöhen kann. Es ist wichtig, bei der Eucharistiefeier die Eignung und Sauberkeit des Ortes in rechter Weise zu berücksichtigen, die Architektur des Altares und des Tabernakels, die Erhabenheit der Gefäße, der Paramente, des Gesangs, der Musik, das heilige Schweigen usw. All dies sind Elemente, die zu einer besseren Teilnahme am eucharistischen Opfer beitragen können. Zuwenig Aufmerksamkeit nämlich für die symbolischen Aspekte der Liturgie, weiters Auslassungen und Eile, Oberflächlichkeit und Unordnung, entleeren die Zeichenhaftigkeit und schwächen das Glaubenswachstum. Wer schlecht zelebriert, zeigt damit die Schwachheit seines Glaubens und erzieht andere nicht zum Glauben. Gut zelebrieren dagegen bildet eine erste wichtige Katechese über das heilige Opfer." (Nr. 49, Hervorh. v. Verf.)

Auf viele weitere Stellen des neuen römischen Direktoriums könnte im Zusammenhang mit dem Inhalt dieser Publikation verwiesen werden.

Mit dieser Schrift soll aber auch das Andenken an den letzten österreichischen Bischof hochgehalten werden, der - und dies steht ohne Zweifel für eine grundsätzliche Tendenz - die Cappa Magna ohne Furcht vor einem vermeintlich schädlichen Triumphalismus mehr als einmal getragen hat.


Wien, am Sonntag, dem 19. Juni 1994, Mag. Mag. Dr. Alexander Pytlik



Setzen wir die Anbetung Gottes an erste Stelle!



Inhaltsverzeichnis




Vorwort



1. Sakralitätsvergessenheit


a) Einführung: Religion und Sakralität


b) Das Wesen der heiligen Liturgie


c) Sakralität als Wesensmerkmal christlicher Liturgie


d) Grade der Sakralitätsvergessenheit


e) Erwachender Widerstand gegen die Sakralitätsvergessenheit



2. Sakralitätsbezogene Liturgie


a) Heilige Sprache


b) Heilige Riten


c) Heilige Texte


d) Heiliges Schweigen


e) Heilige Räume


f) Heiliges Gesamtbild der Kirche



Schlußwort



Anmerkungen



Biogramm des Autors



Alles zur Ehre Gottes, kein anderes Motto kann und darf es in der Christlichen Liturgie geben!


Vorwort


Die folgende Überlegung erinnert an einen vergessenen Bereich christlicher Lebenswirklichkeit: die Sakralität.


Ein solcher Anstoß zur Besinnung ist schon deshalb nicht verkehrt, weil alle bedeutenderen Impulse in der Spiritualität, Priesterausbildung, Liturgiewissenschaft, Kirchenarchitektur und an anderen Punkten christlicher Meinungsbildung seit mehr als zwanzig Jahren völlig ohne diese Dimension auszukommen suchen; insofern ist, rein formal betrachtet, eine starke Einseitigkeit festzustellen. Bei so gewaltiger Einseitigkeit kann unser kleiner Anstoß die allgemeine Diskussion nur befruchten. Noch viel mehr aber ist unsere Überlegung berechtigt, weil die Dimension des Sakralen gerade das Urphänomen - d. h. nicht ontologisch oder dogmatisch der Kern, wohl aber erfahrungsmäßig, phänomenologisch, psychologisch das ursprünglichste, prägendste Element - der christlichen Liturgie ist und somit ein entscheidender Gestaltungsfaktor der christlichen Lebenswirklichkeit insgesamt. Wenn nun, wie es seit mehr als zwanzig Jahren Realität ist, ausgerechnet dieses Urphänomen verschüttet (und z. T. absichtlich verdrängt) wird, läuft die christliche Liturgie Gefahr, ihre eigene Physiognomie, ja ihre Identität und so auch ihre psychische Prägungskraft zu verlieren - ein Destabilisierungsprozeß, den wir gegenwärtig erleben und am Schwinden der "religiösen Bindung" selbst noch eindeutig christlicher Bevölkerungskreise ablesen können. So werden in der vorliegenden Arbeit unvermeidlich (wenn auch indirekt) viele Fragen nach dem Wesen und der Identität christlicher Liturgie, nach dem christlichen Menschenbild und nach der spezifisch christlichen Kultur mit aufgerührt.


Der Aufbau der Untersuchung ist einfach. Im ersten Teil wird die gegenwärtige Sakralitätsvergessenheit erörtert ("Diagnose"), im zweiten eine sakralitätsbewußte Erneuerung der Liturgie entworfen ("Therapie"). Geringfügige Wiederholungen sind dabei nicht auszuschließen.


1. Sakralitätsvergessenheit


a) Einführung: Religion und Sakralität


Religion ist Wahrnehmung der grundsätzlichen Asymmetrie zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen sowie die dabei mögliche Herstellung eines friedlichen Verhältnisses zwischen beiden.


Religion als Wahrnehmung grundsätzlicher Asymmetrie macht klar, daß das Göttliche immer und notwendigerweise mächtiger, größer, heiliger und schöner ist als alles Menschliche. Diese Wahrnehmung ist nicht einmalig und abstrakt (dann nämlich wäre sie Philosophie, nicht Religion); vielmehr ist sie eine fortlaufende, an immer neuen Erfahrungsgegenständen sich bestätigende lnnewerdung. Das bedeutet, daß sie nicht einfach beim Beobachten oder Konstatieren stehenbleibt, sondern in jeder nur möglichen Weise auf den uneinholbaren Vorrang des Göttlichen reagieren möchte: durch Opfer, durch Gebete, durch religiöse Lebenshaltung. Wenn diese praktischen Reaktionen treu und hingebungsvoll durchgehalten werden, verspricht die Religion - jede Religion - den wahren Frieden, das eigentliche Glück, das der Mensch nicht machen, sondern nur empfangen kann nach Maßgabe des Göttlichen.


Die Unterschiede, Kämpfe und gegenseitigen Korrekturbewegungen bis hin zur Auskristallisierung der drei Monotheismen und darunter dann zum Beweis der Absolutheit des Christentums allein betreffen nur die Art und Weise, wie rückhaltlos das Göttliche bzw. der eine wahre Gott zu den Menschen spricht und wie sie auf diesen Anspruch reagieren. Alle Kämpfe um die wahre Religion, welche die Religionsgeschichte erfüllen, berühren hingegen nicht die Tatsache, daß Asymmetrie zwischen Gott und Mensch vorliegt. Dies ist der ruhende Pol im Gesamtbereich der Religion, auch in der christlichen Religion, auch heute und morgen.


"Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten, dem Sklavenhaus, herausgeführt hat. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben."1


"Du darfst dich nicht vor einem anderen Gott niederwerfen. Denn der Herr trägt den Namen 'Der Eifersüchtige'; ein eifersüchtiger Gott ist er."2 Gott allein führt, befreit und ernährt die Menschen; er allein sorgt dafür, daß die Wahrheit erkennbar bleibt, aber er fordert auch unnachgiebig, daß der Mensch die Herrschaft Gottes anerkenne und weder einen Götzen noch eine götzenähnliche Idee gleich wie Gott anbete. Nur Gott ist anzubeten, mit aller Kraft zu suchen, festzuhalten und zu lieben: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit all deiner Kraft; und den Nächsten sollst du lieben wie dich selbst"3 - wie dich selbst, als gleich abhängigen Diener Gottes, aber nicht wie Gott! Der Christ hat zwar im Nächsten Gott zu sehen4 und zu ehren5, aber das bedeutet nicht, daß die Ehrfurcht, ja die Furcht vor Gott6 verkleinert werden dürfe.


Religion als Wahrnehmung der grundsätzlichen Asymmetrie zwischen Gott und Mensch ist jener Ort bzw. jene Instanz, wo gesichert bleibt, daß Gott Geheimnis ist: unauslotbares, bald erschreckend gewaltiges, bald beglückend helles, erhebendes Mysterium. Gott ist eben auch hinsichtlich seiner Lebendigkeit dem Menschen unendlich überlegen; er beweist und kommuniziert seine Lebendigkeit, wann und wo er will.


Auch dieser allgemeine Charakterzug der Religion ist vollinhaltlich im Christentum erhalten, ja ausdrücklich bestätigt und bindend vorgeschrieben: Jesus Christus weist im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg7 darauf hin, daß einzig Gott es ist, der jeden auf seinen Platz beruft und ihm seinen gerechten Lohn bezahlt; er schärft uns ein, jederzeit für das Kommen Gottes bereit und wachsam zu sein8, denn nur der Vater im Himmel "kennt den Tag und die Stunde"9; und vollends lehrt die reich entwickelte neutestamentliche Wissenschaft vom Heiligen Geist, daß er, der Geist Gottes, es ist, der alles Gute zur rechten Zeit durch uns hindurch vollbringt10, sodaß nur eine demütige Offenheit gegenüber dem Hl. Geist sowie eine gesunde Skepsis gegen alle weltlich-fleischlichen Neigungen11 in uns notwendig ist.


Dieses lebendige religiöse Wissen um den Geheimnischarakter Gottes erzeugt im religiösen Menschen das Verlangen, sich der unberechenbaren und dennoch unendlich wertvollen12 Über-Größe Gottes nach menschlichen Möglichkeiten entgegenzustrecken, sich für ihre Wahrnehmung zu reinigen und umzugestalten13. Hierbei ergeben sich überzeitliche Konstanten des religiösen Lebens: Askese, Gottesverehrung, "Gott mehr lieben als die Menschen"14. Dieses vielfältig manifestierte Verlangen, Gott zu gefallen, finden wir sowohl in den heidnischen Religionen wie im Christentum, aber selbstverständlich in ganz verschiedener Motivation. Waren und sind es dort die furchterregenden Eigenschaften Gottes, die eine angstbetonte Ungewißheit der Seele erzeugten, so ist es bei uns im Lichte der Offenbarung Jesu Christi die helle Seite des göttlichen Geheimnisses, die eine aufbauende, freundschaftlich-liebevolle Ungewißheit der Seele hervortreten läßt. Aber die Ungewißheit der Liebe, die sich jederzeit fragen muß, ob sie der vorausgehenden übergroßen Güte und Liebe Gottes genügend entspreche, ist - phänomenologisch, psychologisch - nicht weniger als die heidnischen Formen eine Ungewißheit, eine allertiefste Sorge. Diese Sorge aus Gottesliebe heraus ist - wenigstens psychologisch - der Ursprung des rituell sichtbaren Kultus: Gott gebührt, daß wir ihm das Kostbarste, das Schönste und Edelste schenken, d. h. zuerst unsere aufrichtige Liebe15 und die brüderliche Barmherzigkeit16, dann aber auch die der Gottesverehrung allein geweihten Gefäße, Gewänder, Worte und Riten. Ohne diese würde Wichtiges fehlen.


Die christliche Religion ist also auch insofern in die allgemeinen Vollzugsweisen von Religiosität eingebunden, als sie den Sinn für das Heilige bzw. Sakrale (den sensus numinis) schärft. Sie ist sogar das hervorragendste Gefäß hierfür, das in der Menschheitsgeschichte jemals vorhanden war. - Das Heilige ist eine bestimmte Eigenschaft des göttlichen Geheimnisses, die sich im Menschenleben ereignishaft verdichtet. Es ist keineswegs festgelegt auf den liturgischen Bereich oder gar identisch mit bestimmten Riten. Wohl aber ist das Heilige am ehesten in diesem Bereich erfahrbar. Es ist freilich ein vielschichtiges Phänomen, das nicht sehr gut in der hier gebotenen Kürze beschreibbar ist17. Immerhin kann festgehalten werden, daß das Heilige das Phänomen des Aufleuchtens jener Transparenz ist, die jedem Seienden als solchem eignet. Jedes Seiende ist, sofern es beschränkt ist, durch sich selbst ein Hinweis auf die unbeschränkte Fülle des Seins; sofern das Seiende vergänglich ist, ein Hinweis auf den unvergänglichen Bestand; sofern es nur begrenzt wertvoll ist, ein Hinweis auf den unbeschränkten Wert; sofern es nur teilweise gut ist, ein Hinweis auf die ungeteilte Güte selbst; sofern es nur teilweise wahr ist, ein Hinweis auf die ganze und ewige Wahrheit; sofern es nur unvollkommen schön ist, ein Hinweis auf die vollkommene Schönheit selbst; usw. Immer kann und muß hinter dem Kontingenten das Absolute gesucht werden. Dieses ist "dort" ebenso sicher, wie das Kontingente "da" ist; aber es ist doch nicht so sichtbar wie das Kontingente. Weitaus die Mehrzahl aller Dinge bleibt stumpf undurchsichtig und indifferent gegenüber der absoluten Wirklichkeit, der sie sich doch in jeder Hinsicht verdanken. Nur wo die in jedem Ding angelegte Transparenz Ereignis wird, nimmt der Mensch befremdet oder beglückt wahr, daß er erst in einer vorläufigen Wirklichkeit lebt. Dieses Ereigniswerden der Transparenz ist das Heilige. Das Heilige tritt zunächst an den Menschen wie eine ungewohnte Einladung heran; es erfüllt die Seele mit einer "überirdischen" Ahnung, die dennoch alles andere als Traum ist; es bewegt die Seele mit einer sonst nirgends erfahrbaren Energie, die zwar zunächst immer zwiespältig ist - ein Schrecken und eine Beseligung, ein Schmerz und eine lustvolle Befreiung -, die sich aber zunehmend zur Eindeutigkeit der Annäherung an die gutmachende Herrlichkeit Gottes wandelt. Wohlgemerkt, nicht der dem Heiligen folgende Mensch macht sich gut - das Heilige als objektives und von sich aus aktives Geschehen des Aufleuchtens macht ihn gut; er kann sich nur reinigen, bereiten - alles übrige widerfährt ihm. Denn das Heilige ist wie ein Sog: einmal aufgeleuchtet, zieht es den Menschen immer kräftiger in die Transparenz auf das Ewige hinaus, wobei aber der Mensch jederzeit seine Freiheit behält, denn er stimmt fortwährend zu, er will weitergezogen werden, obgleich er jeden Augenblick den Prozeß abbrechen könnte; dann würde allerdings der "Glanz, der gottgegebene"18, augenblicklich aus den Dingen verschwinden und die graue, triste Profanität wie vordem alles ersticken. Das Heilige ist somit jener Prozeß, der den Menschen zur Erlangung seiner Heiligkeit führt und der lange vor dem ersten Willensentschluß, mit der Selbstheiligung wirklich ernst zu machen, schon in Gang gekommen sein muß. Gottes Güte und Liebe ist ohne Maß. Daher ist das Heilige, die Aktualisierung der Transparenz des Diesseits auf das Jenseits hin, in jedem Menschen immer schon im Gange; er darf diesen Prozeß nur nicht unterbrechen, sondern muß ihn fördern, unterstützen, jedenfalls im Herzen bejahen. Er muß den Sinn für das Heilige (den sensus numinis) als echte Pflicht auffassen, so wie die selbstverständliche Achtung, Schonung und zartfühlende Treue gegenüber seinen engsten Familienangehörigen. Diese Pflicht zur pietas gegenüber Gott, der sich im Phänomen des Heiligen jedem Menschen näherbringt und um dessen Zustimmung wirbt, ist eine unausreißbar mit dem Menschsein mitgegebene Pflicht. Sie ist umso mehr eine Pflicht des Christen. Denn gerade Christus lehrt, in allen Dingen den Willen des ewigen Vaters zu erkennen19. Gerade im Dasein mit Christus und im Hl. Geiste vermag es der erlöste Mensch, sensibel zu werden für die verborgene Anrede Gottes in allen Dingen, v. a. aber in den Mysterien der christlichen Liturgie. Als solcher wahrhaft (und unverzärtelt!) zartfühlender Mensch (homo sentiens numinis) wird der Christ tatsächlich "christusförmig"20. Das Heilige, eine für alle Menschen und Religionen geltende Kategorie, gilt erst recht und mehr als in allen übrigen Religionen im Christentum als grundlegender Maßstab der Religiosität, d. h. der Hingabe an Gott.


So ist das Christentum eingebunden in die allgemeinen Vollzugsweisen von Religiosität. Das darf und muß so sein, weil Christus selbst gesagt hat: "Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen"21. Erst er - und er allein - erfüllt, was die jahrtausendealte Religionsgeschichte der Menschheit nicht ohne Verirrungen, aber aus humaner Sehnsucht immer wieder bezeugt: den Menschen für Gott zu heiligen und so Gott wirklich zu gefallen; die Hoffnung dabei war immer, daß endgültiger Friede mit Gott, also das Heil des Menschen, daraus erwachsen möge, und in Christus ist dieser Friede in der Tat unaufhebbare Wirklichkeit geworden. So sind alle Religionen vor, neben und nach Christus als mögliche Heilswege objektiv und unwiderruflich abgeschafft22. Das bedeutet aber nicht, daß alle guten Elemente der Frömmigkeit aller anderen Religionen entwertet wären. Sofern sie der Kritik im Lichte des Evangeliums standhalten und kirchlich erlaubten Zwecken dienen23, können sie nicht bloß, sondern sollen sie im Rahmen der christlichen Frömmigkeitspraxis aufgenommen, benutzt und zu ihrer übernatürlich und human fruchtbaren Entfaltung gebracht werden; denn das Christentum als absolute Religion24 kann alles Religiöse zu optimaler Blüte führen, und zwar gänzlich ohne Furcht vor Synkretismus. Weil es die endgültige und allein vollständige Offenbarung Gottes an uns Menschen enthält, ist es allein imstande, mit all den reichen Mitteln menschheitlicher Frömmigkeitsformen je nach Bedarf immerfort dasselbe - aber für möglichst viele und verschiedenartige Menschen - zu erreichen: die christoforme Humanität. Diese aber ist auf jeden Fall ein Menschentum, das zartfühlend, ehrerbietig, achtungsvoll vorgeht, d. h. das den sensus numinis hat. Die Sensibilität für das Heilige muß daher in der christlichen Theorie und Praxis einen zentralen Platz einnehmen, wenn das Christentum das bleiben will, was es nach dem Befehl des Herrn sein soll und sein kann: die absolute Überbietung alles Religiösen, nicht indem es dieses zerstört, sondern indem es dieses seinerseits in eine einzige Nachfolge Christi verwandelt. Insofern muß das Heilige sogar die Grundform des Christseins bleiben25.


Diese Klarstellung mußte am Anfang unserer Überlegung so deutlich erfolgen, weil der heutige Umgang der Christen mit Offenbarung und Liturgie nicht nur de facto weitestgehend ein achtlos-kumpelhafter, der heiligen Scheu entwöhnter ist (wir könnten die Tatbestände langwierig beschreiben26), sondern weil er von bestimmten Theoretikern bewußt auf dieser taktlosen und rein innerweltlichen Stufe gehalten wird. Das ist viel bedenklicher.


Im Bereich der protestantischen Theologie gab es bekanntlich in unserem Jahrhundert mehrere folgenreiche Bemühungen, Christentum und Religion als gegenseitig sich ausschließende Begriffe zu bestimmen27. Dies liegt nun sicher auf der Linie der absoluten Trennung von "Welt" und "Kirche" durch Luther28, ist aber doch eine extreme Steigerung derselben. Gemäß dieser Doktrin ist alles, was man über das Heilige als Transparenz und schrittweise sich vollziehendes Transzendieren sagen kann, eine Beschreibung der Verführungskraft der "Welt", also ein Beweis für dämonische Einflüsse. Christsein bedeutet dann, in radikaler Kritik aller ins Jenseits ziehenden Impulse chemisch rein und bildlos zu "glauben", d. h. einen rein voluntaristisch-subjektivistischen Treueakt zu habitualisieren. (Man könnte dies geradezu einen "Islam im Gewande christlicher Terminologie" nennen). Gott und Welt bleiben nach solchen Doktrinen brückenlos auseinandergerissen. Eben diese Doktrinen protestantischer Herkunft sind nun seit einiger Zeit in den Raum der katholischen Theologie eingeführt worden. Sie dienen hier nicht nur, wie bei Hans Urs von Balthasar, als heuristisch nutzbare Vor-Urteile29, sondern als scheinbar allgemeine Überzeugung der Fachleute; und ohne das im geringsten Ansatz zu beweisen, kritisiert man von hier aus die echt religiöse Liturgie:


"Die Mitwirkung des Kirchenchores ..., des Kantors oder der Kantorin bei Antwortpsalm und Halleluja-Vers, des Lektors, der Lektorin oder der Gemeinde bei Gestaltung der Fürbitten, oder die Mitwirkung der Kommunionhelfer gehören vielerorts selbstverständlich zum Gottesdienst. Diese "participatio actuosa" aller Mitfeiernden trägt zu einer frommen und würdigen, gemeinsamen Feier des Gottesdienstes bei. Wenn allerdings unter sakral die Wirkung des "mysterium tremendum et fascinosum" im Sinne von Rudolf Otto gemeint wäre, so würden hier Erwartungen formuliert, die man besonders bei Fernstehenden findet, und die nichts mit christlichem Gottesdienst zu tun haben."30 Dieser Text ist für die gegenwärtig vorherrschende, rationalistische Meinung symptomatisch. Mindestens dreierlei muß man darauf antworten. Erstens ist es falsch und irreführend, wenn hier gesagt wird, daß es die Fernstehenden seien, die das Geheimnisvolle im gegenwärtigen katholischen Liturgievollzug schmerzlich vermissen; vielmehr sind es die tief gläubigen, theologisch nachdenklichen, religiös am meisten ansprechbaren Christen, die vergeblich nach dem Geheimnis der katholischen Liturgie rufen. Zweitens ist es falsch, daß eine Sicht christlicher Liturgie primär vom Sakralen her unchristlich sei; vielmehr ist es gerade diese Sicht, von der aus der heutige unchristlich-profanisierende Charakter der Liturgiepraxis reformiert werden kann und muß. Drittens ist es eine lügenhafte Unterstellung, so zu tun, als ob die vom II. Vatikanischen Konzil gewünschte "participatio actuosa" dasselbe wäre wie das sichtbare Hervortreten von möglichst vielen Gottesdienstteilnehmern in möglichst vielen liturgischen oder paraliturgischen "Rollen"; dem liegt ein tiefes soziologistisches Mißverständnis der Liturgie als eines "basisdemokratisch"-kommunitären Projektes der Menschen zugrunde. ("Participatio actuosa fidelium" besagt vielmehr die optimale, d. h. nicht unbedingt äußerlich sichtbare, zugunsten des spirituellen ZieIes tätige Teilnahme jedes anwesenden Gläubigen je nach seinem Stand31). Insgesamt zeigt der zitierte Text, daß das Thema "Sakralität" heute wieder ins Gespräch kommt. Das ist positiv. Allerdings geschieht dies in einer denunziatorischen Art und Weise, die den Antwortenden sofort in Polemiken hineinzieht. Das ist negativ.


Um nun hier nicht zu tief abzusinken, müssen wir theologisch konstruktiv die Sache der Sakralität darlegen.


Vorläufige Lehre aus diesen Vorüberlegungen: Christentum ist und bleibt eine Religion, und zum Religiösen gehört das Heilige, die sakrale Aura der Gotteshäuser und der Liturgien. Wer dem Christentum den Charakter des Religiösen nehmen will, muß wissen, daß er ihm dann auch den Charakter des Wohltätigen, ja des Menschlichen wegnimmt; Christentum wird dann zu einer totalen, seelisch destruktiven Unterwerfung. Nur das Religiöse und hier v. a. das Element des Heiligen bzw. Sakralen gewährleistet, daß der gläubige Mensch eine Möglichkeit zum inneren Einschwingen in seinen Glauben, zum geistigen Aufatmen, zum befreienden und wohltuenden Heraustreten aus den Zwängen und Beengungen des Alltags bekommt.


Schließlich ein terminologischer Vorschlag: "Heiligkeit" bzw. "das Heilige" nennen wir, gemäß den bahnbrechenden und nach wie vor gültigen religionsphänomenologischen Arbeiten von Rudolf Otto32, das Phänomen im allgemeinen; von "Sakralität" bzw. "dem Sakralen" sprechen wir dann, wenn es sich um ein Heiligkeitsphänomen im Rahmen oder Umkreis der christlichen Liturgie handelt.


b) Das Wesen der heiligen Liturgie


Jeder Christ weiß, daß Liturgie kein Menschenwerk ist. Sie ist im Kern ein Werk des dreifaltigen Gottes selbst, an welchem der Mensch nur teilnimmt, und zwar in einer ganz bestimmten Weise. Ohne die allerheiligste Dreifaltigkeit hätte die heilige Liturgie weder einen Grund ihrer Möglichkeit noch ein Vorbild.


Liturgie ist das Opfer des ungeteilten Lobes, das Jesus Christus, der Sohn Gottes und Erlöser der ganzen Welt, als Hoherpriester des Neuen und Ewigen Bundes Gott dem Vater im Heiligen Geiste darbringt. Nachdem er das blutige, ein für allemal die sündige Menschheit vor Gott rechtfertigende Opfer am Kreuz auf Golgotha dargebracht hat, setzt er seit seiner Auferstehung das unblutige Opfer der unsichtbaren, himmlischen, aber ganzheitlichen (Leib und Seele umfassenden) Hingabe an den Vater fort - ununterbrochen, bis zum Ende der Zeit fortlaufend, d. h. bis er dem Vater alles unterworfen hat, sodaß dieser in Ewigkeit "alles in allem"33 sein kann. An diesem unvordenklich reinen Opfer Christi nehmen Engel und Menschen je in ihrer Weise teil, und von den Menschen sowohl die schon vollendeten in der himmlischen Herrlichkeit als auch die im Fegfeuer befindlichen als auch die noch auf Erden pilgernden. Die spezifische Teilnahmeform, die uns auf Erden pilgernden Christen aufgetragen ist, besteht in der leibseelisch konkreten Feier und Mitfeier des Gottesdienstes in der Kirche, wodurch die Lebenswelt (als von Christus ontologisch schon miterlöste) erfahrungsmäßig als ganze in das große Opfer Christi hineingestellt werden soll. Ihre besondere Würde und Wirkmächtigkeit hat diese uns auf Erden aufgetragene Liturgie darin, daß sie ihr Zentrum im heiligen Meßopfer hat, d. h. darin, daß Christus selbst ihr unmittelbar handelndes Subjekt ist. Denn wenn der Priester in der heiligen Messe zwei irdische Grundnahrungsmittel, Brot und Wein, im Auftrag des Herrn in Leib und Blut Christi verwandelt, so ist nicht mehr der Priester der Handelnde, sondern Jesus Christus selbst, der diese allein Gott mögliche und eigentümliche Verwandlungskraft im Priester supponiert. Die heilige Messe ist somit wesenhaft das Werk Jesu Christi; sie ist damit die Quelle der Heiligkeit aller anderen Gottesdienste. Ferner vereinigen sich in jeder heiligen Messe Priester und Laien durch die Hingabe ihres ganzen Seins an Christus sowie durch den Empfang der heiligen Opferspeise (Kommunion) derart tief mit Christus, daß de facto eine Steigerung der Heiligkeit der Welt eintritt. Und diese gnadenhaft erlangte Steigerung der Heiligkeit unserer selbst und unserer engeren Umwelt ermöglicht uns ihrerseits erst, tatkräftig unsere Lebenswelt immer weiter zu verchristlichen; ohne die hl. Kommunion erlahmt unser missionarischer Eifer rasch, geht er unklare Wege, vermischt er sich mit unserem Hochmut oder anderen unheiligen Impulsen. Die Frucht des Meßopfers ist übernatürliche Einheit mit Gott und Heiligkeit. Daher versteht es sich von selbst, daß jeder Priester jeden Tag dieses heilige Opfer vollziehen soll - ob "Volk" dabei ist oder nicht! Es geht um den Zuwachs an Heiligkeit der Welt, und dies darf nicht von der Teilnehmerzahl abhängig gemacht werden. Der Sinn der Liturgie sowohl im Himmel wie auf Erden ist es ja, auszudrücken und zu bezeugen, daß die Einheit mit Gott das wahre Glück, die echte Seligkeit ist, und Gott zu bitten, daß möglichst bald alle Lebewesen "das Knie beugen" vor ihm, unserem ewigen Vater34.


Um dieses fugenlose Ineinandergreifen von himmlischer und irdischer Liturgie anzudeuten, spricht die Kirche in ihren offiziellen Texten stets von der "heiligen Liturgie", und das ist eine inhaltliche Stellungnahme: denn was ist heiliger als das, was unaufhörlich durch Herz und Hände Christi geht? Noch deutlicher wird dies, wenn die Kirche (v. a. in ostkirchlichen Kontexten) von der "heiligen und göttlichen Liturgie" spricht: denn was ist göttlicher als das, was einen so zentralen Ort im Vollzug innertrinitarischer Liebe hat?


Dieses Wissen um die heilige Liturgie als wesentlich göttliches Werk, an welchem wir Menschen nur verdeutlichend, sinnenhaft ausdrückend und uns ganz anheimstellend teilnehmen, muß jedem vernunftfähigen Christen geläufig sein. Es stellt insofern ein kostbares ökumenisches Gut dar, das, wenn einmal echte Ökumene angestrebt werden sollte, notwendig die Aktionsgrundlage bilden muß.


c) Sakralität als Wesensmerkmal christlicher Liturgie


Die christliche Liturgie auf Erden enthält, entsprechend der Bestimmung ihres Wesens, zwei konstitutive Elemente: erstens das latreutische, zweitens das pädagogische.


Das latreutische Element der christlichen Liturgie auf Erden besteht darin, daß Gottes Ehre in allen Handlungen gesucht, erhöht und verstärkt werden muß, und dies vor allem in der Liturgie. Sie ist also in erster Linie Gottesverehrung. Das pädagogische Grundelement der christlichen Liturgie auf Erden liegt darin, daß die Menschen - nach gründlicher Vorbereitung in der Familie und im Religionsunterricht - besonders im Gottesdienst tiefste Beruhigung, Befreiung, Beseligung erfahren und stetig sich verstärkende Sehnsucht nach Gott und seiner Verherrlichung verspüren. Ohne spontane Sehnsucht nach Gott ist christliche Liturgie eine leere, formalistische Pflichtübung. Die pädagogisch wirksame Kraft der heiligen Liturgie sorgt aber dafür, daß die Sehnsucht nicht verdorrt.


Aus dem latreutischen Grundzug folgt, daß die Liturgie unbedingt würdig zu sein hat. Sie muß spürbar höhere Würde besitzen und ausstrahlen als alle formal vergleichbaren Festakte und Riten aus dem profanen Bereich. Sie muß daher alle hohen Werte, die in der Welt vorkommen, in höchstmöglicher Deutlichkeit vereinen, ausdrücken oder andeuten35. Nur so kann sie in verantwortbarer Weise auf Gott, der in unsagbar reicher Fülle alle Werte in sich vereint und deren Quelle ist, hinweisen; nur so kann sie insbesondere das Meßopfer richtig begehen. Christliche Liturgie muß deshalb z. B. exemplarisch schön, klar und durchsichtig, gedankentief und doch leicht und froh stimmend, Heimat gebend, weit, groß, edel sein. Liturgie muß einen großen, weiten Atem haben und so die gütige Gelassenheit, die Geduld Gottes mit uns Menschen direkt und heilsam abbilden. Sie muß, infolge ihres göttlichen Wesens nicht alltäglich, vom Profanen deutlich unterschieden sein und unendliche Weite in der Seele hervorrufen. Das heißt: sie muß ihr Geheimnis haben.


Dem pädagogischen Element der Liturgie entspricht es, daß das Geheimnisvolle an ihr nicht primär abstößt, sondern primär anlockt und die Seelen der Gläubigen stetig in die Tiefe des Geheimnisses Gottes selbst einführt.


Diese beiden Elemente der heiligen Liturgie sind in dem einen Wesensmerkmal der Sakralität zusammengefaßt. Sakralität bedeutet näherhin: Kirchenräume, die - ob billig oder kostbar, kunstlos oder künstlerisch wertvoll ausgestattet - eindeutig eine überirdische Würde, Sicherheit und Stille haben; Kirchenräume, die überall wiederkehrende Symbole zum Betrachten darbieten und so das übernatürliche Heimatgefühl vermitteln; Riten, die langsam, ihres Sinnes sicher, groß und gelassen vollzogen werden und gerade so eine heilende Macht ausüben; feste, stilistisch vollkommene und in ihrer zeremoniösen Zweckfreiheit gerade wohltuende Formeln der Gebete; viel Weihrauch, gregorianischer Choralgesang, Opferungs- und Wandlungsglöckchen (und die silbernen Wandlungsposaunen in St. Peter im Vatikan!), weißes Linnen auf der Kommunionbank; Ehrfurcht, von Priester, Altardienst und Gläubigen derart praktiziert, daß ein zufällig dazukommender Tourist von dieser Ehrfurcht ergriffen wird; keinerlei Privatgespräch, schon gar kein lautes, und streng geräuschloses Schreiten im heiligen Raum, damit die sakrale Atmosphäre nicht einmal durch freches Dahinstampfen gestört werde: denn die Kirche, die Liturgie gehört Gott, vor dessen abgründiger Größe wir erst einmal erschreckt innehalten müssen. Zur sakralen Eigenart der heiligen Liturgie zählen auch die weißen Altartücher auf jedem (!) Altar, die Blumen und Votivlichter vor den Heiligenstatuen, die stillen Beter außerhalb der offiziellen Liturgie, und dazu zählt die schonende Verwendung von elektrischem Licht, ja am besten das Halbdunkel, auch während der heiligen Feier selbst: Ausdruck dafür, daß in der heiligen Liturgie Gott allein im hellen Lichte steht, er, der Ursprung allen Lichts, während die teilnehmenden Christen nicht angestrahlt werden, sondern besser in einer augenschonenden und Bewunderung und Anbetung fordernden Halbdunkelheit bleiben sollten. Zur sakralen Eigenart der heiligen Liturgie zählt schließlich ebenfalls, daß vor und nach der Zelebration der Bischof, Priester oder Diakon persönlich, stillschweigend, als Vorbild gut sichtbar in der Kirche betet: den Allmächtigen um Beistand bittend bzw. für die Gnade der Liturgiefeier dankend. Dafür gibt es von der Kirche vorgesehene Gebetsvorlagen, die leider heute kaum ein Priester respektiert.


Sakralität ist schwer in Worte zu fassen. Sie ist ein Faktum, das man unmittelbar wahrnimmt oder an welches man sich deutlich erinnert, ein Faktum, das man den genannten und manchen anderen Voraussetzungen als ihre Folge zuordnen darf, das man aber dennoch nicht einfach "machen" kann. Es stellt sich ein. Man muß nur Gott Raum und Zeit dafür belassen.


Allerdings kann und muß eine sehr klare Unterscheidung getroffen werden. Sakralität hat nämlich nichts zu tun mit jener Heiligkeit, die von neuheidnischen Dichtern, philosophierenden Schriftstellern u. a. ins Spiel gebracht worden ist. "Das Heilige", das dort verehrt wird, "ist dem Menschen nicht nahe und vertraut, er kann sich nicht, wie man sagt, darin 'einfühlen', sich in ihm selbst wiederfinden und in der Natur seine Verwandte und Freundin finden, wie es dem abgelaufenen Zeitalter möglich war. Sondern das große Heilige ist alles dieses nicht, sondern im Gegenteil das vom Menschlichen ... und Schicksalhaften gänzlich Verschiedene, ja, das dem Menschenwesen gerade Entgegengesetzte, nämlich das Allgemeine, Aorgische, Unfühlbare, Unendliche. Hölderlin bezeichnet es am liebsten, im Gegensatz zu der geräuschvollen Betriebsamkeit der Menschen, mit dem Wort 'Stille'. Um sich ihm zu nähern, muß der Mensch sich selbst vernichten und in den Tod gehen ... Zum Unterschied vom Deismus gibt es in dieser Religion noch Mysterium und Gebet. Aber die lsoliertheit, die Gott-Verlassenheit des Menschen ist kaum weniger furchtbar, die Entfremdung und das Erkalten seiner Welt kaum weniger groß. lhr erhabenes Echo in der bildenden Kunst ist die Malerei Caspar David Friedrichs, der ihr zugeordnete Seelenzustand, auch wenn er sich in Heiterkeit verkleidet, tiefe Wehmut und Trauer 'in den Tod' ..."36. Eine derartig zur Erstarrung, innerseelischen Vereisung und Destruktion führende Form des Heiligen ist zwar möglich - Rudolf Otto beschreibt sie unter dem Bild der hinduistischen Göttin Durga -, ist aber absolut unvereinbar mit Sakralität. Denn in der Sakralität schwingt zwar auch der Schrecken vor der überwältigenden Majestät und Allmacht Gottes mit, aber er führt hier nicht zur namenlosen Erstarrung oder gar zum Selbstmord, sondern zur Anbetung; denn die Sakralität ist der Offenbarung zugeordnet, dem Wissen um die Güte und erlösende Liebe Gottes, und auf diesem Fundament führt sie erfahrungsprägend zu ihm hin. Es gibt zwar viele Formen und Möglichkeiten von Sakralität, die alle mehr oder weniger unbedenklich sind und je nach Zeit und Ort ruhig eingesetzt werden sollen; nur diese eine Möglichkeit des Heiligen, die den Menschen im unproduktiven Schrecken erstarren läßt, bleibt ausgeschlossen, da sie sowohl antichristlich wie antiliturgisch ist.


Sakralität bedeutet sehr wohl Distanzierung, Abkühlung der ungeordneten seelischen Antriebe durch Konfrontation mit dem ewigen, unbegreiflich gelassenen Gott; aber all dies mit einem heilenden und moralisch heiligenden Unterton, der, je mehr der Mensch sich der Sakralität öffnet, desto mehr die Seele reinigt und ordnend Gott annähert. So hat die Macht des Sakralen innerhalb der Liturgie (oder doch im Zusammenhang mit ihr), die von unseren Seelen wirksam Besitz ergreifen kann, von ferne etwas zu tun mit jener Macht des wirklich Gläubigen, die Jesus Christus aufzeigt und schenkt: mit der Macht, "Berge zu versetzen"37, Dämonen auszutreiben38 und gelegentlich noch andere Wunder zu vollbringen39. Durch das Sakrale ahnt der Mensch, wie stark er durch Christus eigentlich geworden ist.


Eine Liturgie, die im hier skizzierten Sinne wirklich sakral wäre, ist gegenwärtig in der katholischen Kirche selten. Gewiß gibt es in der Provence, in der Abtei Le Barroux, täglich eine unendlich ergreifende, ganz sakrale Liturgie, und gelegentlich in Wien, Prag oder München noch eine große, prachtvolle, mit einstündiger Orchestermesse und halbstündiger Predigt ausgeschmückte Festtagsliturgie; aber insgesamt sind diese Ausnahmen so selten, daß heute nicht mehr genau verständlich ist, was tatsächlich verlorenging. Daher erscheint es sinnvoll, nun Definitives über die Grade der Sakralitätsvergessenheit zu sagen.


d) Grade der Sakralitätsvergessenheit


Sakralität ist jener seelisch prägende "Raum" oder "Bereich", in welchem sich die Ehrfurcht heimisch fühlt. Wenn nun aber Ehrfurcht "die Mutter aller Tugenden, aller Religion", "die Grundlage aller Wertsichtigkeit und Wertempfänglichkeit" sowie "die eigentliche Antwort auf die Majestät der Werte ..., auf ihr 'Künden' von Gott" ist, und wenn man sogar pointiert sagen darf: "Nur der Ehrfürchtige ist wahrer Begeisterung, wertantwortender Freude, wahrer Liebe und wahren Gehorsams fähig. Der ehrfurchtslose Mensch ist wertblind und der Unterordnung unter die Werte nicht fähig"40, dann muß die Darstellung der beiden hauptsächlichen Stufen der Ehrfurchtslosigkeit zugleich Aufschluß geben über die Stufung der Sakralitätsvergessenheit.


Es gibt zwei hauptsächliche Stufen derselben: ahnungslose Stumpfheit und absichtsvolle Frechheit41. Die erstgenannte ist eine über den Einzelnen mehr oder weniger zwangsweise verhängte Verdumpfung und Verdummung, die aber doch stets auch ein Stück Mitschuld enthält42. Die zweite, "höhere" und somit schlimmere Stufe resultiert aus dem Hochmut. "Der Ehrfurchtslose aus Hochmut, der Freche, tritt an alles in dünkelhafter Scheinüberlegenheit heran; er glaubt, alles schon zu kennen, ohne weiteres zu durchschauen. Er interessiert sich nur für die Welt, soweit sie seiner Selbstherrlichkeit dient ... Er nimmt das Seiende nicht in sich ernst, für keine Sache läßt er den geistigen Raum leer, in dem sie ihre Eigenart, ihr Sein entfalten könnte. Er glaubt sich stets größer als das, was nicht er ist. Für ihn birgt die Welt keine Geheimnisse. In taktloser Weise rückt er allem auf den Leib ... Vor seinem willkürlichen Zugriff ist die Welt verschlossen, nichtssagend, aller Geheimnisse bar, aller Tiefe verlustig, platt und eindimensional geworden"43. Ist das nicht eine bedrückend aktuelle Beschreibung heutiger Liturgen und Liturgiewissenschaftler?


Die ständige Erwägung, wer was tun könne, ob "wir" (wer ist das eigentlich?) dies oder jenes noch "brauchen könnten", ob die Jugendlichen, Frauen, Männer (usw.) genügend zu Wort kämen, ob wir nur ja gleich viele weibliche wie männliche Lektoren hätten, möglichst viele - auch weibliche - Kommunionhelfer (die in Wahrheit alle überflüssig sind), genug Ministrantinnen usw. - diese ständigen soziopraktischen Überlegungen ziehen das liturgische Gesamtgeschehen schon im Ansatz auf ein beliebig manipulierbares, alltägliches Interaktionsgeschehen ohne innere Tiefe und ohne sachlich gebotene, feste Gestalt und Struktur herab. Kennzeichnend ist für diese Art, die heilige Liturgie zu sehen und zu "feiern", eine tiefsitzende Unruhe. Und diese drückt sich dann in der Art des "Feierns" selbst aus: zügig-saloppes Hereinmarschieren mit höchstens noch beiläufig gefalteten Händen, respektloses "Weiterdichten" der vorgeschriebenen Texte, ständige Zwischenbemerkungen und Kommentare, nie anbetendes Schweigen, niemals lateinische Sakralsprache, alles in légèrem Tonfall, alles in légèrer Haltung, sodaß die hl. Messe oder auch andere liturgische Akte wie Begräbnisse oder öffentliche Weihungen und Segnungen bequem, beiläufig und schnell ablaufen; denn eine gewisse Nervosität, Verkrampftheit und Unruhe hindert die Teilnehmer solcher Veranstaltungen, jemals ruhig zu werden. Sie müssen sich immerfort gegenseitig bestätigen, wie gut es tut, beisammen zu sein, anstatt zu bezeugen, wie selig es macht, daß Gott so nah bei uns wohnt. Die hl. Messe v. a. wird somit zu einer Vorlese-, Sing- und Belehrungsstunde mit sozialtherapeutischem Grundton und mit unübersehbarer Frechheit; Gott, in dessen Haus man sich befindet, wird ständig ignoriert, und Gottes Ehre, die der alleinige Zweck von Gottesdiensten sein kann, wird ständig verletzt. "Aller Tiefe verlustig, platt und eindimensional" kreisen solche Veranstaltungen nur um menschliche Wohlgefühle, die man anderswo letztlich doch "kompakter", jedenfalls aber mit weniger Umständlichkeit haben kann - und so vermindert sich die Zahl der Teilnehmer stetig. Dies scheint ein unvermeidlicher, systemimmanenter Effekt der rein auf therapeutische oder genußorientierte Erlebnisse schauenden "modernen" Liturgie zu sein: man findet schließlich doch eine bessere Möglichkeit, und zwar nicht nur de facto, sondern mit Notwendigkeit, da solche Art von Liturgie eben durch und durch ein Surrogat ist; sie kann, da sie wenigstens den Anschein von Gottesverehrung wahren muß, nie eine klinische Therapie ersetzen oder soviel wohlig empfundenen Lärmschock bieten wie ein Rockfestival; und solch "zweitklassige Ware" nimmt der Konsument eben nicht sehr lange an. Es sei denn, er könne sich selbst dabei zur Schau stellen - und hier haben wir den Grund, weshalb sich diese Art von Liturgie schon seit 20 Jahren und ohne nennenswerte Alterserscheinungen erhalten konnte. Sie ist ein Forum für "Talente" aller Altersklassen, sich vor anderen zu produzieren: der Hochmut nicht nur als Wurzel, sondern als Ziel des Gottesdienstes! Hier liegt offen zutage, daß die Begehrlichkeit - genauer gesagt, die Lust am Spielen von Autorität und Herrschaft - ein wichtiges Element der Sakralitätsvergessenheit ist. "Der begehrliche Mensch interessiert sich nur für die Welt als Mittel, ihm Lust zu bereiten. Er maßt sich seine Herrscherstellung gegenüber dem Seienden an, weil er herrschen will, nicht um der Herrschaft als solcher willen, sondern um sie für seine Lust auszunützen", indem er sich eben permanent wichtig macht44. Die heilige Liturgie verkommt so zur bloßen Bühne für menschlich-allzumenschliche Begehrlichkeiten und nicht selten auch Begierden45, denn wer unter den Augen des zelebrierenden Priesters oder gar Bischofs sich ungeniert produzieren darf, fühlt sich in allem gerechtfertigt; er wird auch in ernsten Gewissensfragen zur schlechten "Großzügigkeit" verführt und fragt seltener und seltener, ob man dies und jenes wirklich dürfe. Wer sich öffentlich in der Kirche "sein Recht nimmt", darf gar vieles ... Desensibilisierung ist die unvermeidliche Folge: ungeniertes Herumlaufen im heiligen Raum sogar während der hl. Liturgie, Stehenbleiben während der Wandlung, Sitzen und Sichunterhalten beim Segen, sogar beim eucharistischen, lautes Gespräch im heiligen Raum unmittelbar nach dem Segen, u. a.


Am deutlichsten ist diese fortschreitende Desensibilisierung katholischer Christen in puncto Kniebeuge: sie nimmt allgemein an Häufigkeit ab, so sehr, daß selbst Gläubige aus der sogenannten "Kerngemeinde" kaum mehr bei jedem Vorübergehen am Tabernakel eine andächtige Kniebeuge machen, daß selbst fromme Pfarrer den Devastierungsgelüsten interessierter Parteiungen nachgeben und die Kommunionbänke herausreißen, den kniebeugelosen "stehenden Kommunionempfang" einreißen lassen; wohingegen die Häufigkeit der Kniebeugen, d. h. das lebendige Bewußtsein unserer Verpflichtung zum Gruß des realpräsenten Erlösers, dort am größten ist, wo eine maximal sakralitätshaltige Liturgie gepflegt wird.


Es gibt also zwei sehr verschiedene Grade von Sakralitätsvergessenheit: eine aus Unkenntnis und eine aus Desinteresse am Sakralen (die sich bisweilen, aber nicht allzu selten, gerade bei Klerikern zu einer wahren Gegnerschaft und Verachtung des Sakralen steigert). Dementsprechend ist auch die spezifisch christliche Haltung zur Welt und zum Heiligen in sehr verschiedener Weise gestört: denn beim ersten Grad ist die "sakrale Reserve", die man vielfach noch aus Kindheit oder Freundeskreis kennt, nur eingeschläfert oder überlagert durch einen oberflächlich bleibenden Frechheitsgestus, während beim zweiten Grad die sakrale Reserve bewußt ausgemerzt ist und ganz neu - nicht ohne Mühe - eingepflanzt werden muß. Sakrale Reserve ist jene Grundhaltung der Ordnung, die primär den Heiligen eigen ist: "sie verraten in jedem Augenblick, daß sie 'Eigentum Christi' sind, geformt und gehalten durch sein heiliges Gesetz. Der Ordensmann darf sich nicht gehen lassen - sein Stand macht ihm in vielen Situationen eine heilige Reserve zur Pflicht ... Die sakrale Reserve ... entstammt einer Wertantwort und ist eine durchaus legitime Bindung. Sie ist ein Distanz-Halten der Welt gegenüber, das Gegenteil eines jovialen Sich-Anbiederns, eines wie immer gearteten Sich-gehen-Lassens"46, und sie ist somit jener Grundgestus jedes wirklichen Gläubigen, womit er sich zugunsten der heiligen Tiefe der Wirklichkeit zurücknimmt. In dieser Ehrfurchtshaltung, die der Ausdruck des Wissens um die unberührbare Heiligkeit Gottes und die eigene Schuldhaftigkeit und Häßlichkeit ist, wird der Christ behutsam. Er lärmt nicht, läuft nicht im heiligen Raum herum, lacht nicht, ißt nicht, raucht nicht in der Kirche, sondern schützt die gottgeweihte Atmosphäre dort durch ehrfürchtiges Schweigen. So läßt er die Worte der Heiligen Schrift in sich nachklingen und gibt Gott die Möglichkeit, in das Schweigen der Seele hinein unmittelbar zu sprechen. In derselben Ehrfurchtshaltung grüßt der Christ den Priester auf der Straße, die Ordensfrau auf dem Bahnhof - weil sie Christus geweihte Persönlichkeiten sind. Ein solcher Christ läßt aber auch Ehrfurcht walten in der Begegnung der Geschlechter47, im Umgang mit Tieren, mit Gütern der pflanzlichen Natur, mit Haus und Garten, ja mit den eigenen Finanzen - eine stille, kühle Distanz, die weiß, daß das Vorliegende nicht alles ist, daß es vielmehr kreatürlich verletzbar, vergänglich und schwach ist und daß andererseits Gott es zum Medium seines Sichzeigens machen kann. Die sakrale Reserve gönnt Gott viel Zeit und Raum im konkreten Leben. Sie läßt die Gottesferne der profanen Welt, aber auch den möglichen Aufgang des Heiligen auf sich zukommen, forciert nichts, hört zu, schaut zu, lange bevor sie selbst eine Stellungnahme wagt, und ist immer bereit, zu staunen und anzubeten. Wo nun diese Distanz eingeebnet wird, d. h. wo der Mensch alles restlos "selbst in die Hand nehmen" muß, weil er aus Angst vor Gott (oder dem Satan? den Dämonen?) einfach nicht mehr warten kann, dort verliert sich der Mensch an die Welt. Dort ist entweder eingeschläfert und verschüttet oder aber ausgerissen und zerstört, was den Menschen fähig macht, christlich an der heiligen Liturgie teilzuhaben.


Das Fehlen der sakralen Reserve ist heute besonders gut zu studieren an der Art und Weise, wie die Bestimmung des II. Vatikanischen Konzils, der Christ solle eine "actuosa participatio" an der hl. Liturgie erreichen48, mißverstanden wird. Obwohl der korrekte Zweck dieser Anweisung, nämlich daß die aktuelle Heiligkeit der Teilnehmer - unbeschadet der konstitutiven Heiligkeit der ganzen Kirche - wachsen solle49, kaum jemals zweifelhaft war, wird heute weithin der Anschein erweckt, als ob diese Zielvorgabe nicht existierte. Man tut so, als ob jeder Gläubige, unabhängig von seinem Stand, jeweils die ganze Liturgie auf eigene Faust neu erfinden müßte und somit unter einem (noch dazu rein äußerlich verstandenen) Aktionszwang stünde.


Es gibt hier wiederum zwei Grade des Mißverständnisses. Entweder man läßt diesen Aktionismus als einfacher Gläubiger unreflektiert über sich ergehen, oder man predigt ihn und macht das ohnehin darin enthaltene Moment einer zwangsneurotischen Zugriffs- und Veränderungsmentalität vollends herrschend. Im ersten Fall kann es geschehen, daß der Christ unter der Last des Dauerredens (oft auch in verzweifelter Lautstärke, nicht immer in schöner Aussprache) während der hl. Liturgie "abschaltet", noch mehr verdumpft und die Fähigkeit zum Zuhören und Aufhorchen noch mehr, als dies heute ohnehin schon üblich ist, verliert. Im zweiten Fall erhält, wenn es gut geht, allein der Verstand ein paar kümmerliche Anregungen durch Lesungen, Predigt und Lieder; die Tiefenschichten der Seele - dort, wo die Sakralität als ganzheitlich prägende, beruhigende und erhebende Atmosphäre ansetzen kann und soll - erfahren hingegen überhaupt nichts, sie werden zugesperrt und zusammengepreßt, sodaß der Christ nicht in der hl. Liturgie aufatmet, sondern danach; die Liturgie drängt sich dann auf als eine leere, schwere Verpflichtung; und darum ist es irgendwie konsequent, diesen ihren Charakter durch lächerliche "Erleichterungen" zu verwischen - was natürlich noch mehr Aktivismus, noch mehr Alltäglichkeit, noch mehr Weltlichkeit in die heilige Liturgie einführt - alles noch mehr lügenhafte Entstellung ihres ursprünglichen sakralen Gewichts In beiden Fallen wird jedoch die sakrale Reserve im Christenmenschen geschwächt, und das ist eine weder kirchlich noch allgemein human zulässige Verkürzung und Vergröberung seiner Wahrnehmungsfähigkeit.


Als Mensch, v. a. als Christ weiß der Gläubige, daß er bedingt ist durch Gott und daß absolute Asymmetrie herrscht zwischen Gott und ihm. Die Kirche bietet ihm die kostbare Chance, überall auf der Welt vor der aggressiven Weltlichkeit geschütztes "Asyl", z. T. große, weite und seelisch weitende Kirchenräume, nutzen zu können zur stillen Betrachtung der Geheimnisse des Seins. Die Kirche bietet ihm insbesondere die übernatürliche Chance, daß ihm innerhalb der hl. Liturgie ohne subjektives (oder subjektivistisches50) Zutun das "göttliche Milieu" wie ein kühler, beruhigender und belehrend-inspirierender Mantel umgetan wird, ein heilsamer Mantel, unter dem die Ehrfurcht gewisser, die Gottesverehrung zielbewußter und v. a. Christus, Maria, der Chor der Engel und Heiligen fühlbar nahegerückt wird. Unter diesem Mantel der Sakralität ereignet sich manche Manifestation bzw. Epiphanie der übernatürlichen Wirklichkeit (einschließlich von Vision und Audition), wird die scheinbar so massive Grenze zwischen Diesseits und Jenseits durchsichtiger und durchsichtiger, verliert die Welt ihre krasse Schwere und Aufdringlichkeit. Wenn dem Christenmenschen heute dieser Ort der Manifestation Gottes genommen wird, wird ihm zwar nicht geradewegs Gott genommen - dies vermag kein Mensch, ja nicht einmal der Satan -, aber es wird der Christenheit als Gemeinschaft ihr vorzüglichster Erfahrungsraum von göttlicher Nahe geraubt und somit ein großes Stück ihrer Freude am Christsein entzogen. Denn Christsein, herrliche Liturgie, Gnade, Hoffnung und Glaubensfreude sind Dinge, die der Mensch nicht "machen" kann. Er kann, darf und soll sie demütig empfangen. Aber eben das ist die letzte Zielsetzung des Sakralitätsentzugs: dem Christen vorzugaukeln, er könne nicht nur die hl. Liturgie beliebig "gestalten", sondern auch die Wahrheit - das zeigt, daß man nicht bereit ist, sich Gott als das geheimnisvoll große Geschenk im Milieu Gottes und der Kirche schenken zu lassen. Damit enthüllt sich der gegenwärtige Sakralitätsverlust als Verweigerung der Gnade als solcher, d. h. doch wohl als Ausfluß jener letzten und zutiefst verstockten Hochmutshaltung, die der Herr selbst die "Sünde wider den Hl. Geist" nennt51. Sie ist jedenfalls ein Anschlag gegen das elementarste Merkmal des Christlichen - sie schiebt Gott weit weg.


Der Sakralitätsverlust ist keineswegs nur ein Denkmal der Geschmacklosigkeit oder Krankheit der Moderne, sondern schwerer Sünde.


e) Erwachender Widerstand gegen die Sakralitätsvergessenheit


Die Kirche wäre nicht die zutiefst heilige Braut des Hl. Geistes und der mystische Leib des Erlösers Jesus Christus, wenn sich in ihr überhaupt kein Widerstand gegen die Sakralitätsvergessenheit fände. Gottlob ist dieser aber vorhanden. Es genügt, auf die "Priesterbruderschaft St. Petrus" hinzuweisen, die in ihrem internationalen Priesterseminar in Wigratzbad täglich eine lateinische Musterliturgie mit sakralem Tiefgang vollzieht. Nicht unerwähnt darf ferner die "Christkönigs-Jugend" bleiben, die alljährlich die von 10.000 Jugendlichen besuchte Pfingstwallfahrt von Paris nach Chartres organisiert, denn dabei wird an allen drei Tagen des Fußmarsches, besonders aber am Abschlußtag im Dom zu Chartres eine große, tief von Sakralität durchdrungene lateinische Liturgie gefeiert. Aber auch an zahlreichen anderen Punkten regt sich Widerstand gegen die sakralitätsvergessene Art des Liturgiefeierns.


Im wesentlichen ist dieser Widerstand vorerst verbunden mit der berechtigten Forderung, der überlieferten ("tridentinischen") Messe den ihr gebührenden Entfaltungsraum innerhalb der katholischen Kirche zu belassen resp. wieder einzuräumen. Die an sich viel breitere Akzeptanz einer sakralitätsbezogenen Liturgie innerhalb der "normal erneuerten" (d. h. nach dem Meßbuch, Lektionar und Rituale Pauls VI. vollzogenen) Liturgiepraxis wäre noch hinzuzuzählen, obwohl hier bisher noch kaum Ansätze zu einer Resakralisierung gemacht wurden. Aber was noch nicht geschehen ist, kann geschehen und ist vorauszusehen.


Im übrigen sprechen zahllose Gespräche privater Natur dafür, daß ein sehr beachtliches Potential an Personen vorhanden ist, das eine Resakralisierung der hl. Liturgie bereitwillig mittragen würde, sobald von oberster Stelle (d. h. vom Hl. Vater sowie von den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen, den Oberen der Orden und Kongregationen sowie vom Prälaten des Opus Dei) nur endlich ein entsprechendes Signal käme - eine klare Empfehlung und ein klar verständliches Vorbild. Die Furcht vor jenen, die hinter jedem eindeutigen Zeichen des katholischen Glaubens schon Triumphalismus wittern, soll man ablegen. lnsbesondere der Hl. Vater müßte das "Wagnis" unternehmen, wieder mehrmals hintereinander prachtvolle, ganz große pontifikale Liturgie zu feiern, mit allen "Zutaten" (vielleicht einschließlich der Cappa Magna aller Kardinäle) und mit viel Muße. Die Signalwirkung in Richtung Resakralisierung wäre überraschend stark, nicht nur für jene überraschend, die bereits vor 20 Jahren den bloßen Gedanken an Resakralisierung geradezu anathematisiert haben52. Vor allem viel Jugend würde sich begeistert beteiligen.


Was der untergründig längst vorhandene Widerstand gegen die inhuman auf bloß innerweltlich-profane Bedürfnisse zugeschnittene "Liturgie nach dem Tod der Sakralität"53 im einzelnen fordert, soll im zweiten Teil dieser Überlegungen dargestellt werden.


2. Sakralitätsbezogene Liturgie


a) Heilige Sprache


Gottgeweihte Atmosphäre bedarf der allein oder doch fast ausschließlich gottgeweihten Sprache. Während nun heute im Bereich der Ostkirchen darüber nachgedacht wird, ob man nicht wegen der höheren Sakralität von der altkirchenslavischen zur altgriechischen Liturgiesprache zurückkehren solle, hört man im Bereich der (sogenannten) Lateinischen Kirche nichts Ernsthaftes über eine Rückkehr zur lateinischen Sakralsprache. Das ist umso erstaunlicher, als die ausschließliche Verwendung der Profansprachen (und noch dazu auf einem nicht literaturfähigen plebejischen Niveau) gegen den erklärten Willen des II. Vatikanischen Konzils54 und ebenso gegen den vielfach bekundeten Willen und Befehl der Päpste55 durchgesetzt worden ist.


In der lateinischen Sakralsprache ereignet sich für jeden halbwegs aufmerksam Zuhörenden der "Rücksprung in die ursprüngliche Gewalt des Heiligen"56 mit folgenden drei Merkmalen: Schrecken, unnahbare Hoheit, segensreiches Geheimnis57. Im Wechselspiel vorrangiger Erfahrung des mysterium tremendum und dann wieder des mysterium fascinosum hält sie "dem Menschen einen nicht zerschlagbaren, schlechthin Wahrheit stiftenden Spiegel" vor Augen, "mit dem er niemals identisch werden kann, der aber in ihm sowohl die Lust wie die Kraft erzeugt, sich ihm in jedem Ansatz bis zu einem jeweils noch tieferen Überzeitlichkeitsgefühl anzupassen. Die lateinische Kirchensprache ist heilig - und zwar numinos heilig -, insofern sie Gott als den Hort ewiger Weisheit und Herrn der Geschichte abbildhaft, aber doch überdeutlich und sinnenhaft-direkt prägustieren läßt"58. Soviel zur lateinischen Sakralsprache insgesamt.


Speziell die Erfahrung des mysterium tremendum ist aber im Kontext der gegenwärtigen, scheinbar völlig eindimensional gefahrlosen Welt wichtig. Wer das mysterium tremendum aus dem christlichen Gottesbegriff eliminiert, verfälscht nicht nur diesen als Begriff, sondern nimmt auch dem Menschen die unverzichtbare Chance, durch Gottesfurcht sich selbst nüchtern zu machen und "in Furcht und Zittern"59 besser in Zucht zu nehmen. Gottesfurcht ist bei richtig verstandener Gottesliebe auch nicht ausgelöscht, sondern nur immer weiter in die Liebe hinein transformiert als Scheu des Liebenden vor dem Geliebten (Respekt vor dem Geheimnis der Person), ferner als Furcht vor einem Mangel an tatsächlich erbrachter Liebe und als Stimulans zu noch rückhaltloserer Hingabe. Daher berauben jene, die das mysterium tremendum aus dem Gottesbegriff (unter Berufung auf einen einseitigen, letztlich nicht christlichen Begriff des "lieben" Gottes) herausoperieren wollen, den Menschen der eigentlich menschlichen Tiefe seiner Gottesliebe. Der wahre Gott will zu unserem Heil, daß wir uns in gesundem Maße an seiner unermeßlichen Majestät furchterfüllt reiben und damit immer vorbehaltloser zu ihm in seine Arme flüchten; er will, daß wir innerhalb der scheinbaren Sicherheiten der Welt buchstäblich "den Boden unter den Füßen verlieren" und uns in die wahre Sicherheit des himmlischen Vaters begeben. Dies ist ein Prozeß innerer Reinigung, der bis zum Tod des Menschen anhält, um dessen Seele möglichst Gott ähnlich zu machen. Gerade die lateinische Sakralsprache ist ein hervorragendes Mittel zu diesem Ziel.


Nicht ohne Grund hat darum Kardinal Mayer in einem Interview erklärt: "Wir müssen zugeben, daß der Sinn für das Heilige, das Sakrale, für das Mysterium ... gelitten hat ... Man kann vielleicht sagen, daß auch das Schweigen zu kurz kommt. Und daß jetzt vom Anfang bis zum Ende der Messe immer geredet wird ... Dazu kommt: Das Latein sollte nicht ganz aus unseren Gottesdiensten verschwinden."60


Entsprechend den kirchlichen Vorschriften fordere ich, die faktische Unterdrückung der lateinischen Sakralsprache zu beenden und jeden Pfarrgottesdienst in jeder Pfarre, jeden irgendwie durch seine Wichtigkeit hervorgehobenen Gottesdienst (sei er eine hl. Messe, ein Teil des Stundengebets oder eine Sakramentsandacht) und insbesondere jeden pontifikalen liturgischen Akt zur Gänze in der lateinischen Kirchensprache zu vollziehen.


b) Heilige Riten


Gottgeweihte Atmosphäre bedarf der feierlichen, auch einmal völlig weltvergessenen und jedenfalls gänzlich Gott zugewandten heiligen Riten. Die heiligen Riten der Kirche sind nicht bloße Schnörkel in einer total vom Menschen erfüllten Lebenswelt, nicht leere, kurze Schmuckformeln, sondern vielmehr Fenster und Türen, durch welche das Ewige, der Himmel, das wahre Leben und der wirkliche Sinn aller Dinge erfahrungsmächtig, dicht und großartig in unser erbärmlich enges Dasein hereinströmt. Sie enthalten jene Welt des Heiligen, die eine Macht für sich ist und, indem sie sich selbst, völlig selbsttätig, vollbringt, den Menschen zur Zustimmung und zur Selbstheiligung infolge einer Berührtheit vom Heiligen aufruft (sacrifera sacralitas!). Sie müssen daher diesem ihren Sinn entsprechend zelebriert werden.


Die richtige Zelebration der heiligen Riten in der Kirche Gottes ist geprägt von äußerster Zurückhaltung im Hinblick auf subjektive "Gestaltung" (d. h. Veränderung) durch den Zelebranten. Treu dem Buchstaben entsprechend werden sie zelebriert. Sie werden ferner ohne Verkürzung ihrer äußeren Kennzeichen abgehalten: der Zelebrant immer in voller Sakralkleidung, die Prälaten, Bischöfe oder Kardinäle der Chorassistenz immer in voller Chorkleidung einschließlich Birett, die Gläubigen immer mit gefalteten Händen und beim Segen knieend, die heiligen Gesänge immer in voller Länge, und alles ohne innere Verkrampfung, ganz der heiligen Sache, von der wir getragen werden, hingegeben. Es ist gleichgültig, wie viele oder wenige Gläubige teilnehmen; die heiligen Riten, in denen die Rechte Gottes an uns zum Ausdruck und die vielen werthaften Qualitäten der Sakralität61 zur unmittelbaren Erfahrung kommen, müssen jedenfalls pünktlich und vollständig ablaufen. Dazu gehört, daß sie in ihrer inneren Stimmigkeit und Schönheit nicht dadurch gestört werden, daß die teilnehmenden Gläubigen ständig darauf starren, wer von ihnen was und wieviel `tun dürfe". Jeder liturgische Dienst von Klerikern oder Laien muß so verinnerlicht und dienend getan werden, daß man kaum den Unterschied bemerkt, wenn jemand anderer zu agieren beginnt. Liturgie als Fließen von Gott her, als Strömen zu Gott hin ... Daß jedoch der gemischte Laienchor sich hinter oder vor dem Altar im Altarraum postiert, muß in jedem Falle verhindert werden; der Platz des Laienchors ist im rückwärtigen Teil der Kirche sozusagen unsichtbar, denn ihn zu beobachten wäre bereits eine Störung der heiligen Riten.


Heilige Riten wollen langsam gefeiert werden. Das folgt aus ihrem gottgeweihten Anderssein. Während alle profanen Handlungen rasch ablaufen dürfen und z. T. sollen, weil sie relativ sinnarm und bisweilen sinnentleert sind, müssen die heiligen Riten langsam, manche (z. B. Weihen von Personen und Sachen) äußerst langsam vollzogen werden, weil sie überreich an Sinngehalt sind und der Mensch eine gewisse Zeit benötigt, diese Tiefe und Fülle des enthaltenen Sinnes aufzunehmen. Dies ist besonders heute der Fall, da das Tempo des allgemeinen Lebens eine fortlaufende Beschleunigung erfahrt. Der Mensch braucht daher gegenwärtig noch mehr Zeit, sich vom Alltag zu lösen und die Tür zum Wirkbereich der Ewigkeit, d. h. zur fruchtbaren Teilnahme an einer heiligen Handlung, zu durchschreiten. Daher müssen sämtliche Riten langsam und bedeutungsvoll vollbracht werden (und der Zelebrant soll keine Angst vor heiligem Pathos haben: durchaus darf es sein, durchaus!)


Heilige Riten wollen ernsthaft gefeiert sein. Daher sollen sich die Teilnehmer möglichst selten gegenseitig ansehen, ja lieber die Augen schließen, wo es angängig ist.


Um diesen sakralen Vollzug der Riten unserer heiligen Kirche sicherzustellen, fordere ich, auf die strikte Einhaltung der Rubriken zu achten, bei deren Interpretation aber eine die maximale Prachtentfaltung ermöglichende Deutungsrichtung einzuschlagen und feierliche Paramente, Reliquiare bei Weihemessen, viel Weihrauch, viel Kerzen, Glöckchen, Choralgesang, Prozessionen u. a. gut katholische Darstellungsmittel zu gebrauchen, um die heiligen Riten wirklich als in sich stehend, in sich mächtig, der Welt nicht bedürftig, aber die Welt erhöhend, veredelnd und erhellend zur Geltung zu bringen. Jeder Ansatz zur Banalisierung ist zu beseitigen, und im Zweifelsfall ist immer die facultas amplior zu wählen.


c) Heilige Texte


Gottgeweihte Atmosphäre bedarf heiliger Texte. Diese Feststellung umfaßt zweierlei: erstens die sakrale Formulierung, zweitens den sakralen Vortragsstil.


Da heute, im Anschluß an die Liturgieform gemäß dem II. Vaticanum, bei vielen liturgischen Texten Auswahlmöglichkeit besteht, soll der Zelebrant darauf sehen, jeweils den weniger alltäglichen, gehalt- und geheimisvolleren Text auszuwählen. Im Bereich der vier Canones der Hl. Messe ist dies zweifellos der "Canon primus sive Romanus".


Anzahl und Qualität der sinnvermittelnden Zeichen haben sich heute eindeutig im visuellen Bereich konzentriert: Fernsehen, Blitzreisen in fremde Länder, Bildergeschichten u. a. überhäufen den Durchschnittsmenschen mit einer derartigen Überfülle von Bildern, daß er hauptsächlich in Bildern assoziiert. Das Wort kommt ins Hintertreffen und entwertet sich. Es wird immer schlampiger, tonloser, undeutlicher ausgesprochen, Orthographie droht in den reichen Industrieländern unbekannt zu werden, Gassensprache wird schon in offiziellen staatlichen Verlautbarungen angetroffen, und das allgemeine Sprechtempo beschleunigt sich. Angesichts dieser gar nicht so nebensächlichen Fakten62 muß der Vortragsstil im sakralen Rahmen peinlich genau sein, klar in der Aussprache, genügend langsam, um Echo bzw. Nachhall ruhig ablaufen zu lassen, ferner dem Sinn der Sache gemäß und innerlich beteiligt. Er muß von unbedingter Ehrfurcht vor dem Wort - dem Wort an sich, d. h. jedem Wort - getragen sein63. Er muß spürbar die Freude an wohlgelungener Formulierung enthalten Er muß sinngemäße Pausen aufweisen und Hervorzuhebendes wirklich betonen. Kurz: er muß von höchster Klarheit und Reinheit sein.


Dem sachlichen Erfordernis solchermaßen heiliger Texte widerspricht es, daß in einer großen Zahl von liturgischen Akten innerhalb der katholischen Kirche offene Willkür herrscht; es werden da ohne geringste Skrupel die heiligen Texte verändert, weggelassen, an andere Stelle gesetzt, durch profane ersetzt usw. Angesichts dieser liturgischen Anarchie fordere ich, jedes Abweichen vom liturgischen Text sowohl hinsichtlich des Wortlautes wie auch hinsichtlich der Aussprache zu bestrafen. Heilige Texte müssen endlich wieder für alle erlebbar heilig, d. h. von Willkür unberührbar, bleiben.


d) Heiliges Schweigen


Gottgeweihte Atmosphäre bedarf insbesondere des heiligen Schweigens. Sakralitätsbewußte Liturgie muß deshalb aus tiefem, anbetendem Schweigen hervorgehen und in dasselbe zurücksinken. Das bedeutet, daß eine Viertelstunde vor Beginn jeder Liturgiefeier nichts mehr anzusagen, herbeizutragen, zurechtzurücken oder auszuprobieren ist (v. a. nichts Musikalisches); die schon Anwesenden sollen sich im tiefen Schweigen der dichten sakralen Atmosphäre öffnen und annehmen, was Gott ihnen da zur Vorbereitung auf das öffentlich gefeierte Mysterium sagt oder gibt. Und ebenso ist nach Beendigung jeder liturgischen Zelebration eine Viertelstunde lang absolute Stille zu halten, nichts wegzutragen, abzuräumen, auszublasen oder respektlos zu kommentieren, sondern allein dankbare Anbetung zu halten. Wer schon weggehen muß, wird dies ohnehin geräuschlos und unbemerkt tun; ebenso aber auch Organisten, Mesner, Ministranten u. dgl. Die Vorbereitung und das nachträgliche In-Ordnung-Setzen der Kirche hat in weitem Abstand von der heiligen Funktion zu geschehen.


Sakralitätsbewußte Zelebration der hl. Messe bedingt, daß die Opferungsgebete still gesprochen werden, daß nach der Wandlung - anstatt des untragbar indezenten Hineinredens in das heiligste aller Mysterien - heiliges Schweigen eintritt, daß bei den Commemorationen der Lebenden und Verstorbenen jeweils mindestens eine ganze Minute Stille herrscht und so auch während und nach der hl. Kommunion. Überhaupt ist festzuhalten, daß die "Stille Messe" zumindest in der Form der "Missa sine populo" durchaus nicht abgeschafft ist; es gibt viele Gelegenheiten, bei denen der Priester eigentlich nur still zelebrieren kann. Es wäre so wohltuend, wenn er dies auch täte!


Im übrigen spricht aus dem pausenlosen Reden, wie es heute in der Liturgie üblich ist, eine tiefe Mißachtung der humanen Psychologie: denn der Mensch braucht Zeit und Ungestörtheit, um ihn persönlich anrührende Gebete tätig mitvollziehen zu können. Dies gilt nicht zuletzt auch für das Chorgebet, das in den meisten Ordensgemeinschaften viel zu schnell geht und so bloßes Lippenwerk bleibt.


Aufgrund der genannten Tatsachen fordere ich, daß alle Bischöfe und Ordensoberen dazu verpflichtet werden, in ihrem Bereich das heilige Schweigen so weit wie nur irgend möglich auszudehnen.


e) Heilige Räume


Gottgeweihte Atmosphäre beruht selbstverständlich zu einem erheblichen Teil auf der dichten, wahrhaft gottgehörigen sakralen Ausstrahlung der Kirchenräume.


Aus den bisherigen Ausführungen geht wohl hinlänglich klar hervor, was darunter zu verstehen ist. Wir wollen nur noch zwei der wesentlichsten Punkte hervorheben: die Hochstellung des Zelebrationsaltars und die Notwendigkeit von Kniebänken und Kommunionbank. Zu Christus, dem Subjekt aller christlichen Liturgie, aber auch zu seinem "in persona Christi" agierenden Priester aufzuschauen hat der gläubige Christ ein Recht, und zwar auch innerhalb der heute zumeist favorisierten Communio-Theologie. Wenn Christus als der zu unserem Bruder und Helfer sich erniedrigende Gottessohn erscheint, muß der Christ doch immer noch zu ihm aufschauen als zu seinem weit höherstehenden, weiseren, machtvolleren und schöneren Bruder. Eine distanz- und differenzlos fraternisierende Sicht des Verhältnisses von Erlöser und Erlösten wäre häretisch. Daher muß der Altar deutlich höherstehen als das Bodenniveau der übrigen Kirche: mindestens um drei Stufen, doch sind sieben Stufen angemessener. Vice versa ist die Kommunionbank nötig, damit die Gläubigen das wahre Verhältnis zum eucharistischen Herrn ausdrücken können: absolut "unten", empfangend, dann freilich auch mit Christus mutig aufstehend. Diese Demutshaltung auszuüben hat der gläubige Christ ein Recht, und darum fordere ich, daß in allen katholischen Kirchen wenigstens je eine Kommunionbank - und zwar aus Stein - fest installiert werde.


Wo aufgrund der besonderen Raumverhältnisse die Erhöhung des Altars nicht möglich ist, sollte wenigstens die zumeist unsinnig nahe, indezent oder obsessiv und aggressiv wirkende Placierung des Altars direkt beim Volk besser überdacht werden und gegebenenfalls der Altar etwas weiter weggerückt, jedenfalls aber hohe Kerzen und ein hohes Altarkreuz daraufgestellt werden. Im übrigen sei betont, daß auch die "Celebratio versus Deum" keineswegs verboten ist.


f) Heiliges Gesamtbild der Kirche


Gottgeweihte, echt sakrale Atmosphäre resultiert auch aus dem Gesamtbild, das die Kirche mitten in der Welt hervorruft.


Hierbei geht es weniger um Kirchen, Pfarrsaal- oder Kindergartenbauten, auch nicht primär um Dogmatisches oder um moralische Positionen, sondern um viel Schlichteres: ob der durchschnittliche Bürger viele Priester in Priesterkleidung sieht oder nicht, ob er sie als gottverbundene und in Gott befriedete Menschen kennenlernt oder nicht, ob er eine nicht-alltägliche und nicht-profane Autorität aus ihrer Haltung, ihrem Leben und ihrem Reden herausspürt oder nicht. Gerade das erstgenannte Detail sei hervorgehoben. Priester sind heute fast nie mehr an ihrer Standeskleidung zu erkennen, sie tragen diese also jedenfalls nicht ständig, und dies wird beim normal empfindenden Durchschnittsmenschen als mangelnde Zustimmung zu dem, was man eigentlich glaubt und will, sowie als mangelnde Zivilcourage gedeutet. Daher ist es für das Gesamtbild der Kirche dringend notwendig, daß alle Priester - entsprechend der klaren Weisung des Hl. Vaters - kontinuierlich Priesterkleidung tragen, auch Priesteramtskandidaten oft (oder immer) ihre Soutane tragen und auch der Brevier betende Priester immer wieder da und dort erblickt werden kann. Das Ziel ist dabei nicht, Mutproben zu inszenieren, sondern die selbstverständliche eigene Zustimmung zur priesterlichen Berufung sowie die ewig feststehende Ordnung des göttlich-kirchlichen Bereichs wieder zu visualisieren. Das Sakrale ist ja nicht nur etwas für die einsame Seele, etwas abgründig Unsichtbares, sondern eine alle Sinne ergreifende und erfüllende, dichte Atmosphäre eigener Art, zugänglich für alle, faszinierend für alle. Wenn also der vielleicht ganz kirchenferne Durchschnittsbürger wieder viele Kleriker in der ihnen zukommenden Kleidung sieht und merkt, daß sie sich dabei (oder gerade durch diese symbolhafte Verankerung im Sakralen?) ganz natürlich, froh und freundschaftsfähig verhalten, dann ist dies in sich schon ein Stück Mission.64


Welche Mittel aber der gläubige Christ auch findet, um seine Verankerung im Sakralen sichtbar und fühlbar zu machen, er wird doch am Anfang und Ende all seiner Taten bekennen, "daß das Übermaß der Kraft von Gott kommt und nicht vom Menschen"65.


Schlußwort


Das Heilige bzw. spezieller das Sakrale, wie es sich in der heiligen Liturgie und ihrem Umfeld manifestieren kann, will und soll, ist jener Bereich der religiösen Wirklichkeit, der sie für die konkrete Erfahrung des religiösen Menschen - und jeder Mensch ist in seiner Grundstruktur religiös! - gerade zur religiösen erhebt. Das Sakrale macht die Religion für den Erfahrenden zur Religion. Deshalb ist in unserer Zeit, die aufgrund anonymisierender, rein technischer Lebenspraxis einen immer größeren seelischen "Erfahrungshunger" hat, gerade dieser Bereich wieder zu betonen. Dies ist, recht verstanden, ein Akt der Seelsorge. Aber die Betonung der sakralen Dimension muß noch aus einem anderen Grund so scharf und deutlich ausfallen.


Die geistigen Auseinandersetzungen der nächsten Jahrzehnte werden, wie sich schon heute unschwer sehen läßt, bestimmt sein durch die Konfrontation der Christenheit (v. a. der katholischen Kirche, auch der Orthodoxie) mit ein paar militanten Sekten und v. a. mit dem Islam. Hierbei wird die Kirche den Sieg davontragen, denn sie gehört Christus an und hat weit mehr Dimensionen des ursprünglich Religiösen zu ihrer Verfügung, insbesondere die sakrale Dimension. Nun hütet zwar der Islam seine an sich wenigen sakralen Dimensionen (Verneigungen, Stein- und Tieropfer bei der Mekka-Wallfahrt, rituelle Koran-Zitate in zahlreichen Lebenslagen, unübersehbare Fastenzeit u. a.) heute viel treuer als die Kirche ihre an sich viel zahlreicheren; doch hier gilt es aufzuholen und ein reiches, weitverzweigtes und lebensmächtiges eigenes Erbe wieder neu zu entdecken. Vielleicht ist es überhaupt der Sinn dieser Konfrontation, daß die Kirche vom Islam ein wenig lernen und z. B. eine Rom-Wallfahrt einmal im Leben sowie das Tischgebet wenigstens vor der Hauptmahlzeit jedes Tages - und zwar auch in der Öffentlichkeit, in glaubensfeindlichem Milieu - für jeden Katholiken verpflichtend vorschreiben soll. Auch unsere Fastenvorschriften sind in einer Weise verwässert, daß die Sache an Lächerlichkeit grenzt. Hier gilt es wieder Tritt zu fassen und die das ganze Christenleben durchgreifende Macht und Herrlichkeit Gottes - gleichsam als das Siegel Christi an uns66 - neu zu manifestieren. So hat die Sakralität als Aufgabe auch eine bedrängende Aktualität erhalten.


"Darum wollen wir dankbar sein, weil wir ein unerschütterliches Reich empfangen, und wollen Gott so dienen, wie es ihm gefällt, in ehrfürchtiger Scheu; denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer."67


Anmerkungen


  1. Ex 20,2 f.

  2. Ex 34,14.

  3. Mk 12,29 - 31.

  4. Mt 25,34 - 45.

  5. 1 Kor 3,16 f.; Eph 5,21 - 6,9.

  6. Ps 111,10: "Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit"; so auch Spr 1,7; 9,10; 15,33; Sir 1,11 - 20, bes. 14.

  7. Mt 20,1 - 16.

  8. Mt 24,42.44.

  9. Mt 24,36; 25,13.

  10. Joh 14,26; 16,13; Röm 8,9 - 11; 1 Kor 3,16; 6,19; Röm 8,26 f.

  11. Lk 11,13; Mt 12,31 f.; Röm 8,5 - 16; 2 Kor 7,1; Gal 5,13 - 18.

  12. Dietrich von Hildebrand nennt in seiner Schrift "Substitute für wahre Sittlichkeit" (in: Idolkult und Gotteskult, = Gesammelte Werke VII: Regensburg 1974, 177 ff.) das amare in Deo als den Modus, in welchem die Anerkennung Gottes als des in alle Wertbereiche her einstrahlenden Über- und Zentralwertes in den verschiedenen Bereichen sittlichen Handelns manifest wird. Näherhin sieht er "mehrere Elemente" dieses amare in Deo. "Zu ihnen gehört unersetzlich die ehrfürchtige, dankbare Haltung" (a. a. O. 177). Ein wichtiges Kennzeichen des liebevollen Umgangs mit den Dingen in der tiefen Verbundenheit mit Gott ist ferner die "Verklärung der Wertantwort auf hohe außersittliche Werte im Licht Christi" (a. a. O. 181).

  13. Vgl. H. Reinhardt, Verwandlung der Sinne. Fünf Wege zu Gott (Stein a. Rh. 1992), 35 ff., 47 ff., 63 ff., u. ö.

  14. Apg 5,29; vgl. Mt 10,37.

  15. Mt 6,24; 22,37; Lk 11,23; 1 Kor 10,21; 2 Kor 6,14 - 16.

  16. Mt 5,7.48; Lk 6,36; Eph 5,1 f.; Kol 3,12 - 14.

  17. Eine immer noch grundlegende, wohldifferenzierte Einführung in die Gesamtthematik bietet J. Grand'Maison, Die Welt und das Heilige (Salzburg 1970). Kurz und leicht lesbar führt auch J. Pieper, Was heißt "sakral"? Klärungsversuche (Ostfildern bei Stuttgart 1988) in das Thema ein. Trotz dieser und einiger - infolge der Unpopularität der Thematik freilich nicht allzu vieler - anderer Arbeiten ist die tiefere philosophisch-theologische Durchdringung, geschweige denn eine große, umfassende Systematik des Heiligen, noch nicht geleistet. In dieser Richtung gibt es allenfalls erste Ansätze, z. B. bei H. Reinhardt, Die Sprachebenen Denken und Glauben. Erörtert am Beispiel des Heiligen (Bonn 1973), v. a. 70 - 82, 137 - 140; ders., Das alltägliche Numinosum. Religionspsychologische Erwägungen zur lateinischen Kirchensprache, in: Archiv für Religionspsychologie 16 (1983) 282 - 303; ders, Das Heilige retten. Überlegungen zur Aktualität des heiligen Norbert von Xanten (Priv.dr. Freising 1984); ders., In Gottes Dienst. Eine Annäherung an den heiligen Wolfgang von Regensburg (Abensberg 1994), bes. 11 - 32: Der Heilige und das Heilige - eine Klarstellung. - Grundlegend für eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Gesamtbereiches "das Heilige - das Sakrale" wird sein, daß die erstmals von Rudolf Otto (Das Heilige, 2. Aufl. Breslau 1918; Aufsätze das Numinose betreffend, Gotha 1923) entdeckte Dialektik von Entzug und Geschenk bzw. "mysterium tremendum" und "mysterium fascinosum" mit strenger spekulativer Konsequenz durch alle Erscheinungsmodi hindurch aufgezeigt wird.

  18. Pindar, Achte Pythische Ode, 96. Die Verse 95 - 97 lauten (eigene Übersetzung): "Eintagswesen! Was ist einer? Was ist einer nicht? Schattens Traum der Mensch. Aber wenn ein Glanz, ein gottgegebener, kommt, ist helles Licht auf den Menschen und lieblich das Leben."

  19. Essen und Trinken, Sichfreuen und Trauern mit den Menschen, Mitleid mit ihrer Not (und darum Wunderzeichen), unerschrockene Lehrtätigkeit und unbestechliche Milde der Lehre selbst: Jesus zeigt, wie der geistliche Hirt im "Normalfall" den Willen Gottes tut. Er sucht ihn aber auch sehr betont im einsamen Gebet, das er sogar wahrend seiner Passion nicht unterbricht. Das ganze Wesen Jesu atmet jene Ruhe der Seele, die er auch uns anbietet (Mt 11,29), und wahre Ruhe ist stets ein Indiz, daß der Wille Gottes getan worden ist und getan wird. - Abgesehen von dieser Aussage des vorbildlichen Lebens Jesu Christi lehren uns aber auch seine Worte, in der ganzen Fülle der Lebenssituationen Gottes Willen zu finden und zu erfüllen. Jesus weist ihn u. a. auf: in der Vorliebe zur Verborgenheit bei allen Werken der Frömmigkeit (Mt 6,1 - 6; 16 - 18), in der heiligen Sorglosigkeit (Mt 6,25 - 34), in realistischer Selbstbeurteilung (Mt 7,3 - 5), im eindeutigen Bekenntnis (Mt 10,32 f.), in der Zuneigung zu Kindern (Mt 18,4.6.10; 19,13 - 15), im Verzicht (Mt 19,29), im unbedingten Glauben (Mt 21,21), beim Streben nach unvergänglichem Gewinn (Mt 25,14 - 28) und v. a. in der Mahnung, die gewissermaßen alle einzelnen Maximen wahrer Frömmigkeit zusammenfaßt: "Gebt das Heilige nicht den Hunden!" (Mt 7,6); das heißt: Laßt unter allen Umständen den Vorrang des Ewigen, Gottgehörigen und Gottgeweihten in eurem Leben deutlich sein! Laßt bei aller unbedingt zu befolgenden Nächstenliebe ja nicht das Göttliche im Stich, sondern hütet, ehrt und schützt es gut! - Weil somit Leben und Lehre Jesu Christi in einmaliger Weise durchsichtig sind für Gott und seinen heiligen Willen, ist es nicht überraschend, daß sein irdisches Leben von zahlreichen außergewöhnlichen Heiligkeitsphänomenen begleitet wurde: Engel bei Verkündigung (Lk 1,26 - 38) und Geburt (Lk 2,6 - 20) Jesu sowie am Ölberg (Lk 22,39 - 44, bes. 43), der Hl. Geist in Gestalt einer Taube während der Taufe Jesu (Mt 3,13 - 17), ebenso wie damals dann auch wahrend der Verklärung (Mt 17,1 - 8) die Donnerstimme Gottes und hier auch noch die Erscheinung von Moses und Elias im göttlichen Glanz, und als gewaltigstes Heiligkeitsphänomen überhaupt die Auferstehung Jesu aus dem Tode. Diese Phänomene sind die uns Menschen höchst nützlichen Bestätigungen der göttlichen Herkunft Christi: das heißt, er ist jene Person, in welcher permanent "der Himmel offen" ist (vgl. Apg 7,56). Aber dennoch ist das erste Phänomen manifester Transparenz des Irdischen zum Ewigen im uns bekannten Leben Jesu ein Phänomen der Pseudo-Sakralität: die Versuchungsgeschichte Jesu (Mt 4,1 - 11); so wenigstens bei Matthäus. Das will sagen, daß keineswegs alle Heiligkeitsphänomene von Gott stammen - es gibt auch solche, die der Satan bewerkstelligt: "er zeigte ihm alle Reiche der Welt" (Mt 4,8), und zwar in magisch verführerischer Pracht. Darum muß zu christlich verantwortbarer Beschäftigung mit dem Phänomen des Heiligen die sorgfältige Kritik gehören, die klärt, woher das betreffende Phänomen kommt. Allerdings stammen weitaus die meisten Heiligkeitsphänomene von Gott, und eindeutig natürlich jene, bei denen Engel aktiv werden.

  20. Vgl. Gal 3,27; Eph 4,22 - 24; Kol 3,9 f.

  21. Mt 5,17.

  22. Vgl. die Missionsenzyklika Papst Johannes Pauls II. Redemptoris missio (1991).

  23. Vgl. Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche (Ad gentes) des II. Vatikanischen Konzils, Nr. 19: "Der Glaube wird in angepaßter Katechese gelehrt, in einer mit dem Volkscharakter harmonierenden Liturgie gefeiert und findet durch die entsprechende kirchliche Gesetzgebung Eingang in die wertvollen Einrichtungen und Gepflogenheiten des Landes." Nr. 22: "Von da öffnen sich Wege zu einer tieferen Anpassung im Gesamtbereich des christlichen Lebens. Wenn man so vorangeht, wird jeder Anschein von Synkretismus und falschem Partikularismus ausgeschlossen ...; die besonderen Traditionen, zusammen mit den vom Evangelium erleuchteten Gaben der verschiedenen Völkerfamilien, werden in die katholische Einheit hineingenommen." Daraus geht klar hervor, daß jede außerchristlich-ethnische Elemente (in Katechese, Liturgie und Brauchtum) benutzende missionarische Praxis unter dem Urteil der obersten kirchlichen Autorität steht und ihr Gehorsam schuldet. Nur so "wird jeder Anschein von Synkretismus ausgeschlossen".

  24. Vgl. U. Mann, Das Christentum als absolute Religion (Darmstadt 1970). - Diese grundlegende Arbeit muß, unbeschadet ihrer Unentbehrlichkeit, als Buch eines gemäßigt liberalen Protestanten kenntlich bleiben; es ist nicht in allen Einzelaussagen für den katholischen Gläubigen akzeptabel, z. B. auf S. 187, wo er infolge allzu enger, konsequentialistischer Begriffe von "Historizität" und "Mythos" die Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu Christi, seiner Geburt aus Maria der wahren und vollkommenen Jungfrau u. a. letztlich doch bezweifelt oder ablehnt.

  25. Vgl. H. Reinhardt, In Gottes Dienst, 28 ff.

  26. E. M. de Saventhem, Una voce - nunc et semper? (in: F. Henrich [Hg.], Liturgiereform im Streit der Meinungen, Würzburg 1968, 137), hat wohl unübertrefflich klar darauf hingewiesen, daß eine Verbindung zwischen dem "parakonziliaren" Meinungsdruck und der "Paralysierung der Hirtenreflexe der Hierarchie" sowie zwischen der von ihm erwarteten Restitution echter Hirtenkraft und einem sofortigen Zurückschneiden von sehr viel parakonziliarem Wildwuchs bestehen muß. Damit berührt er das Grundübel; wo die Hirten selbst nicht mehr vom heiligen Gott berührt und von heiliger Scheu getragen sind, können sie letztere auch nicht ausreichend in Klerus und Volk sichern. Man muß dann nur auf die - relativ bald zu erwartende - Übersättigung der wankelmütigen Menschen durch eine laute und kultisch dürre, ja pauperistisch dürftige Liturgie warten. Die Wiederentdeckung der mysterienhaften Lebendigkeit der heiligen Liturgie ist allerdings mindestens ebenso stark vom Hl. Geist, dem Lebensprinzip der Kirche, zu erbitten und zu erbeten.

  27. So v. a. in der "Dialektischen Theologie", in den frühen Schriften von K. Barth, ferner bei D. Bonhoeffer und seinen Nachfolgern. Vgl. H. Fries, Absolutheitsanspruch des Christentums. 3. Das Christentum und die Religionen, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. 1 (Freiburg 1957), 73 f.

  28. Vgl. T. Beer, Der fröhliche Wechsel und Streit (Einsiedeln 1980), 423 ff. u. ö. Zu dem hier einschlägigen Problem der "Hauptesgnade" (gratia capitis) vgl. auch M. Habitzky, Um das wahre Sein "in Christus". Haben Katholiken und Protestanten das Credo wirklich gemeinsam? (in: Theologisches Nr. 141, Januar 1982 = Artikeldienst Nr. 1, passim, bes. 16 ff., 22 f.).

  29. Es handelt sich v. a. um den Versuch K. Barths, den absolut analogielosen Sprung von der Göttlichkeit zur Menschlichkeit unter dem Titel "analogia fidei" zu systematisieren und dem "katholischen" Denken aus der Seinsanalogie (analogia entis), welches angeblich ein Drittes zwischen Gott und Mensch zum Bemessungsgrund für beides macht, als die einzig "christliche" Denkform gegenüberzustellen. Balthasar hat diese methodische Sprunghaftigkeit, einschließlich der zugehörigen Geringachtung jeder philosophischen Systematik, zum Strukturprinzip seines eigenen Theologisierens gemacht und bis zuletzt nicht aufgegeben. Es ist der heuristische Motor z. B. seiner Ästhetik und "Theodramatik", aber auch seiner undurchsichtigen Auffassung vom Triduum paschale; hierbei zeigt sich ganz deutlich, daß eine Erklärung auf der Grundlage prärationaler Bilder vom "Sprung" eben gar nichts erklärt.

  30. L. Bertsch SJ, Die Gründung der Priesterbruderschaft Sankt Petrus - Ausweg oder neue Sackgasse? (in: Anzeiger für die Seelsorge, Heft 5, Mai 1991, 201 -205).

  31. So wörtlich ausgedrückt in der Instruktion über Feier und Verehrung des Geheimnisses der Eucharistie (Eucharisticum mysterium) des II. Vatikanischen Konzils, bes. 3 d: "Daher ist keine Messe - wie übrigens auch keine andere liturgische Handlung - ein rein privates Tun, sondern sie ist Feier der Kirche als einer in verschiedene Stände und Ämter gegliederten Gemeinschaft, in der jeder einzelne gemäß seinem Stand und seinem Amt handelt"; a. a. O. Nr. 42: "Jene Feier der Eucharistie, welcher der Bischof, von seinen Priestern und Dienern umgeben, vorsteht und an der das ganze heilige Gottesvolk tätig teilnimmt, gilt als die hervorragende Manifestation der hierarchisch geordneten Kirche". - Eine hervorragende Erörterung dieses hierarchischen Grundzugs der "actuosa participatio" gibt M. Reinecke, Die tätige Teilnahme des Volkes an der Liturgie (in: Pro Missa Tridentina, Nr. 2, März 1991, 11 - 16, bes. 14: "Jeder Gläubige kann auf seine Weise an der Liturgie teilnehmen: er kann mitsingen oder -beten, Kerzen vor der Bilderwand anzünden, sich zum Zeichen der Anbetung und Buße niederwerfen oder auch einfach in der Kirche stehen und der feierlichen Liturgie als Zuschauer folgen", und S. 15 das wichtige Zitat aus Kardinal J. Ratzingers Grundsatzrede vor der Chilenischen Bischofskonferenz 1988, wo festgestellt wurde: "Die Größe der Liturgie beruht nicht darauf, daß sie interessante Unterhaltung bietet, sondern darauf, daß der Ganz-Andere uns berührt, den wir nicht herbeirufen können ... Anders gesagt: das Wesentliche in der Liturgie ist das Mysterium, das sich im gemeinsamen Ritus der Kirche vollzieht"). Reineckes Schlußfolgerung lautet: "Ein solcher Gottesdienst, in dem jeder all das und nur das tut, was ihm zukommt, schließt zugleich Feierlichkeit und participatio actuosa ein und läßt die Teilnehmer das Numinosum erfahren. Es gilt, die rechte Mitte zu halten zwischen der früheren Passivität und einem zu geschäftigen Mittun, damit alle 'mit einer Stimme' das Lob Gottes singen" (S. 16).

  32. Vgl. oben Anm. 17 und H. Reinhardt, Die Sprachebenen Denken und Glauben (Bonn 1973), 110 - 117.

  33. 1 Kor 15,28; Eph 4,6.

  34. Eph 3,14; Phil 2,10 - 11.

  35. Vgl. J. Card. Ratzinger, Das Fest des Glaubens (Einsiedeln 1981), 59: "Wenn mit 'Fest der Auferstehung' der zentrale Sinn der christlichen Liturgie umschrieben ist, dann ist 'Anbetung' ihre gestaltgebende Mitte ... Die Anbetung ist die Wahrheit." Zur Anbetung aber gehören wesentlich zwei hohe Werte des Menschseins: erstens das vernehmende Schweigen, zweitens das kultivierte Singen und Spielen, ja überhaupt die höchste Verfeinerung der Kultur für den Kult. Zum ersten Element: Ratzinger, a. a. O. 64: "Schweigen als gemeinsames Gehen nach innen, als Innewerden von Wort und Zeichen, als Heraustreten aus den die Eigentlichkeit verdeckenden Rollen ist ... für eine wirkliche participatio actuosa unerläßlich. Es schafft die Weile, das Verweilen, in dem der Mensch des Währenden inne wird." A. a. O. 108 (über die Art. 28 u. 30 der Liturgiekonstitution des II. Vaticanums): "Immerhin wird dort auch das Schweigen als Form der Participatio actuosa genannt. Daran anknüpfend wird man fragen müssen: Wieso soll eigentlich nur Reden und nicht auch Hören, Aufnehmen mit Sinnen und Geist, geistliches Mitvollziehen, Aktivität sein? Ist Vernehmen, Aufnehmen, Ergriffensein nichts Aktives? Liegt hier nicht überdies eine Schrumpfung des Menschen vor, der auf das mündlich Faßbare reduziert wird, obwohl wir heute wissen, daß das, was rational bewußt an die Oberfläche tritt, nur wie die Spitze eines Eisberges verglichen mit dem Ganzen des Menschen ist?" Zum zweiten Element: a. a. O. 100 ff., bes. 109. - Allerdings ist durch Ratzingers Ausführungen über die engen Zusammenhänge von Kult und Kultur erst ein allererster Anfang gemacht worden. Es gilt nunmehr, eine Theologie der liturgischen Hochkultur zu entwickeln, die ein wirksamer Damm gegen die immer noch anschwellende Flut innerliturgischer Barbarei sein könnte.

  36. H. Sedlmayr, Verlust der Mitte (Salzburg, 4. Aufl. 1951), 177 f.

  37. Mt 21,21 f.

  38. Mt 10,8. Bedingung ist aber, daß die Dämonenaustreibung eindeutig in Jesu Namen geschieht: Lk 9,49 f.; dann (und nur dann) ist sie ein Beweis für die Gegenwart des Gottesreiches: Lk 11,20. Dämonenbeschwörungen durch falsche Propheten sind den Gläubigen von Christus klar vorhergesagt worden: Mt 7,22; 24,23.

  39. Bevollmächtigung: Lk 10,19. Das tatsächliche Eintreffen von Wundern, welche die Apostel und andere Jünger wirken, zeigen die historisch unbezweifelbaren Wunderberichte der Apostelgeschichte.

  40. D. von Hildebrand, Liturgie und Persönlichkeit (in: Idolkult und Gotteskult, vgl. oben Anm. 12), 225.

  41. A. a. O. 225 f.

  42. Denn da der Mensch niemals im Kern seiner Person unfrei sein kann, trägt er für alles, was er an sich geschehen läßt, wenigstens eine gewisse Mitschuld. Phänomenologisch greifbar ist diese Mitschuld am verdummenden Mitgezogenwerden in die Ehrfurchtslosigkeit darin, daß der betreffende Mensch "pragmatisch" (oder "gemäßigt" etc.) sein will; vgl. Hildebrand, a. a. O. 232: "Der Ehrfurchtshaltung widerspricht in besonderer Weise jede pragmatische Einstellung ..." - Die untergründige Verwandtschaft von Dummheit und Schuld anzudeuten wird der Schriftsteller Heimito von Doderer nicht müde, z. B. in: H. von Doderer, Repertorium (München 1969), 55: "Dumm sein heißt, zahlreiche kleine schnelle aber durchaus verbrecherische Akte zu setzen, durch die einer seine eigene Leistungsfähigkeit unterbricht."

  43. Hildebrand, a. a. O. 226.

  44. Ebd.

  45. Besonders bedenklich ist die Begierde, durch eine alle Aufmerksamkeit absorbierende Musik (u. a.) in der heiligen Handlung die Seelen der Menschen von Gott wegzuziehen, aber auch jene noch subtiler verkleidete Begierde, durch Zulassung von (wohlerzogenen, tüchtigen, wohlpärfümierten und in jeder Hinsicht gefälligen) Ministrantinnen die heilige Liturgie zu erotisieren.

  46. D. von Hildebrand, Die Umgestaltung in Christus (= Gesammelte Werke X: Regensburg 1971), 196 f.

  47. Vgl. H. Reinhardt, Das Heilige retten (vgl. oben Anm. 17), 25; 53 f. Anm. 71.

  48. II. Vatikanisches Konzil, Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium, Nr. 10 u. ö.

  49. Missale Romanum ex decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum (Vatikanstadt, 2. Aufl. 1975), S. 21 Nr. 5: "populus Dei ..., licet origine sua sit sanctus, tamen per ipsam participationem consciam, actuosam et fructuosam mysterii eucharistici in sanctitate continenter crescit."

  50. Subjektivismus ist nicht bloß eine heute unsere Generation bedrohende, sondern eine bleibende, gewissermaßen mit dem objektivierenden Wesen der hl. Liturgie konstitutiv mitgegebene Gefahr. Vgl. D. von Hildebrand, Liturgie und Persönlichkeit, a. a. O. 222 ff., 234 ff., bes. 245, wo eine Parallele zwischen der Größe einer Persönlichkeit und ihrem "Glücksdurst" (d. h. ihrem leidenschaftlichen Streben, sich der objektiven Rangordnung der Werte möglichst vollständig einzugliedern) wahrgenommen wird, und 262 ("Der Geist der 'discretio' in der Liturgie").

  51. Mt 12,31 f.

  52. Um nur zwei Beispiele herauszugreifen: Am 29. Februar 1964 wurde der vatikanische "Rat zur Durchführung der Liturgiekonstitution" berufen. "Unter dem Eindruck der Arbeit des Consiliums konnte eines seiner Mitglieder, Univ.-Prof. Dr. Franz Nikolasch, bei seiner Antrittsvorlesung an der Universität Salzburg im Jahre 1969, dem Jahr der Promulgation des Novus Ordo Missae, die "Entsakralisierung" als eines der wichtigsten Reformanliegen in den Vordergrund stellen. Es läßt sich kaum bezweifeln, daß die damals von Franz Nikolasch vorgetragenen Auffassungen jene reflektieren, die auch in den Beratungen des Consiliums eine Rolle gespielt haben." (W. Waldstein, Hirtensorge und Liturgiereform, Schaan/Liechtenstein 1977, 70) Im Jahre 1991 kann schließlich L. Bertsch, a. a. O. 204 (vgl. oben Anm. 30), ohne jede Beweisbarkeit und gegen besseres Wissen behaupten: "Demgegenüber wird manchmal betont, die faktische Durchführung der nachkonziliaren Liturgie weise einen Verlust an geforderter Sakralität auf ... Sicher ist zu bedauern, daß dies - besonders anfangs - öfters der Fall war. Dieser Vorwurf wird jedoch zu Unrecht erhoben"! Hier wird der Ungeist suggestiver Behauptungen, der sich ohne jeden Beweisgrund an die ungleich bescheideneren und überlegteren Intentionen des Konzils anhängt, offenbar. - Charakteristischerweise spricht H. Mühlen, Entsakralisierung (Paderborn, 2. Aufl. 1970), zwar von "Resakralisierung", aber nur im Zusammenhang mit der Demokratisierung (!) (S. 427 ff.), dem priesterlichen Dienst (441 - 472) sowie in einem langen "Fünften Kapitel" im Hinblick auf die Ehe (488 ff.) und auf den "kirchlichen Zölibat" (526 ff.). Der überzeitlich primäre Ort der Sakralität, die Liturgie und der Kirchenraum, wird in dem ganzen enzyklopädisch stattlichen Werk nicht thematisiert - offenbar ist er nach Ansicht des Paderborner Dogmatikers einer Resakralisierung nicht fähig! - Diese beiden Streiflichter können erahnen lassen, wie stark der Druck schweigender Anathematisierung, d. h. des konsequenten Totschweigens auch nur der Möglichkeit sakral zu feiernder Liturgie und sakralen Verhaltens im gottgeweihten Raum, seit über 20 Jahren ist.

  53. So kann man die Thesen von H. Christoffels (Die Religionen zwischen Argwohn und Glaube, in: Baumer/Christoffels/Mainberger, Das Heilige in Licht und Zwielicht, Einsiedeln 1966: = Offene Wege 3, 76 u. ö.) zusammenfassen. Einige dieser Thesen lauten: "Das Heilige ist entsakralisiert, nicht mehr eindeutig", "Die Einfalt des Glaubens, die die Tradition fraglos aufnimmt ..., hat dem Argwohn Platz gemacht", "Die gegenwärtige Generation ... ist hellhörig geworden und skeptisch ... gegenüber allen Identifikationen. Das bedeutet, daß sie einen neuen Horizont sucht. Dieser liegt jenseits aller Religion und ist der Glaube", usw. Simple soziologische Beobachtungen, naive Anhänglichkeit an die Dialektische Theologie und phänomenologische Unachtsamkeit verbinden sich dabei zu einer Dogmatisierung des "modernen" institutionenkritischen Status quo von 1960 - 1970, der heute bereits paläontologisch wirkt. Die nunmehr heutige Generation hat gegenüber der damaligen wenigstens dies gelernt, daß ein uferloses, amorphes Glauben ohne jeden festen Halt unvermeidlich zur inhaltslosen Ideologie verkommt, in welcher der Mensch nur noch seine eigene Skepsis und Kritik bewundert, bevor er auch dieser überdrüssig wird und verzweifelt.

  54. Liturgiekonstitution (Sacrosanctum Concilium), Nr. 36 § 1 und Nr. 54.

  55. Vgl. Vox Latina 26 (1990) 100, 215 - 225; 26 (1990) 101, 366 - 390. - Diese vollständige Sammlung vatikanischer Texte über die Notwendigkeit der Erhaltung des liturgischen Lateins enthält insbesondere auch das Handschreiben Papst Pauls VI. an die Generaloberen der klerikalen Ordensgemeinschaften mit Verpflichtung zum Chorgebet, das der Papst am 15. August 1966 erlassen hat, das jedoch von den Ordensoberen absichtlich niemals offiziell veröffentlicht worden ist und lediglich durch Vox Latina 6 (1970) 21, 31-37 in seinem vollen Wortlaut sowie in der oben genannten Sammlung, Vox Latina 26 (1990) 101, 380 - 382 (hier freilich nur auszugsweise), international publik wurde.

  56. H. Reinhardt, Das alltägliche Numinosum (vgl. oben Anm. 17), 284.

  57. A. a. O. 286 - 289.

  58. A. a. O. 293. - Zum sinnenhaften Prägustieren gehört auch eine Tatsache, die in den liturgiewissenschaftlichen Diskussionen seit mehr als 20 Jahren keine Rolle mehr spielt: die künstlerische Schönheit der gewachsenen lateinischen Liturgie. Es ist äußerst verdienstvoll, daß W. Waldstein, a. a. O. (vgl. oben Anm. 52) 117, aus der Rede eines Konzilsvaters die Originalpassage zitiert und ihr folgende Übersetzung beigibt: "Die gewachsene Struktur der Messe stellt das höchste Kunstwerk dar ... Sie ist eine vollendete Poesie! Durch das Hinzutreten der Elemente der Frömmigkeit übertrifft sie alle, sogar die größten Kunstwerke der Griechen." Für die Wahrnehmungsfähigkeit der Liturgietheoritiker ist es traurig kennzeichnend, daß dieses Argument weder auf dem Konzil selbst großen Widerhall fand noch in den nachfolgenden Reformen auch nur ansatzweise berücksichtigt wurde. Es ist von der Sache her dennoch ein sehr wichtiges Anliegen.

  59. Phil 2,12.

  60. Münchner Merkur vom 18. November 1988.

  61. Vgl. J. Hessen, die Werte des Heiligen (Regensburg 1938); P. Romano, Ontologia del valore (Padova 1949).

  62. An vielen Stellen meines Buches "Der Begriff Sprache. Dialoge zur Metaphysik der Sprache" (Frankfurt a. M./Bern/New York/Paris 1988 = Europäische Hochschulschriften, Reihe XX: Philosophie, Bd. 237), bes. 66 f. habe ich auf die Tiefendimension des heutigen schlampigen, haltlosen Ge- und Verbrauchs des alltäglichen Sprechens hingewiesen. Es geht dabei gewiß nicht nur um ästhetizistisches Wohlgefallen am äußerlich schönen Wort, am eleganten Wortgeplänkel. Vielmehr geht es um die letzte Identität des sprechenden Individuums: "denn wo Vergewaltigung und Verzweiflung, absurde Hoffnung, Lebenswille und Todessehnsucht nicht mehr genau benennbar und nicht mehr vollständig sagbar sind, erfährt sich der Mensch in seiner Identität getroffen" (H. Reinhardt, Sprachmetaphysik. Eine Einführung in den Legitimationsgrund von Philosophie und Psychologie, in: Archiv für Religionspsychologie 18 (1988) 154 - 195, hier 192 Anm. 97).

  63. Vgl. H. Reinhardt, Sprachtheorie als Ethos (München 1981), 46, 98, 116; ders.,Der Begriff Sprache, 110, 124 u. ö. - Die achtsam-ehrfürchtige philosophische Analyse von Sprechen und Sprache eröffnet übrigens selbst schon eine sakrale Atmosphäre: "Die Alltäglichkeit von Wahrheit und Sinn hat vielmehr etwas Heiliges, eine in die verborgene Herrlichkeit Gottes führende Tiefenschicht, da eben die Sprache selbst (= Gott) in jedem Worte anwesend ist und da Jesus Christus, das Modell jedes Wortes von Ewigkeit her, unser Bruder geworden ist und unser einziger treuer Freund bleibt, der unsere Worte mit uns mitspricht ... Jedes Wort, jede Wortsequenz innerhalb unseres Sprechens verdankt sich mittelbar und unmittelbar dem Logos Jesus Christus und möchte zum Dank motivieren. Alles ist Wort, alles kann Dank werden." (H. Reinhardt, Der Begriff Sprache, 278) Vgl. auch ders., Sprachmetaphysik, 194: "Wenn nun die Sprachmetaphysik ergeben hat, daß das fundamentale Verhältnis der geistbegabten menschlichen Seele zum Sein im Ganzen ein 'hörendes', ehrfurchtsvoll vernehmendes und kultisches ist, dann sieht sich die Religionspsychologie auf den Kult als Mitte und Angelpunkt aller Religiosität verwiesen. Der Kult - in seinen unterschiedlichen Ausdrucksformen - ist dann der absolut vorrangige Gegenstand aller religionspsychologischen Forschung."

  64. Freilich gibt es Unterschiede der Länder, in denen sich Repräsentanten der Kirche aufhalten. In den traditionell katholischen Ländern wie Salzburg, Oberösterreich oder auch Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz ist in dieser Hinsicht "mehr möglich" als in den Ländern mit unterschwellig immer noch antikatholisch-antihabsburgischen und radikaldemokratisch-antihierarchischen Ressentiments, wie es zahlreiche Landstriche der Schweiz sind. Dort wird zwar die Zivilcourage anerkannt, sich so eindeutig als Priester etc. zu bekennen, aber gerade die katholischen Milieus lehnen dieses "Bekenntnis" trotzdem ab - will der da etwa etwas Besseres sein als wir Normalbürger? will er etwa etwas durchsetzen, was wir nicht "demokratisch" von "unten" her gutgeheißen haben? will er uns zu Untertanen machen, uns, die wir seit 800 Jahren keine "Herren" hatten? usw. usf. In solchen Ländern ist es tatsächlich besser, im Alltag Zivilkleidung zu tragen, aber dann ordentliche und einigermaßen stilechte. Für den Sonntag gibt es immer noch Soutane und Kollarhemd zum Anzug.

    Diese ganze Kleiderfrage sollte insgesamt nicht zum Dogma erstarren. Es gibt zweifellos noch wichtigere Dinge. Und doch ist gerade dieser Punkt einer der herausragendsten, an denen erkennbar werden kann, wie es um den Sakralitätsbezug der kirchlichen Repräsentanten steht.

    Noch etwas zeigt sich in diesem Zusammenhang. Der wahre Jünger Christi strebt danach, nicht aufdringlich zu sein. In unserer fast vollständig säkularisierten Lebenswelt fällt der voll erkennbare Priester manchmal so auf, daß seine Selbstgefälligkeit, d. h. eine Form von Egoismus, wach wird; er fühlt sich als halber Märtyrer, jedenfalls und unbedingt "auf dem rechten Weg". Solche Selbstbeweihräucherung auch in halb noch unbewußtem Stadium muß unbedingt vermieden werden. Wichtig ist allezeit die Demut vor dem Herrn, das Ergriffensein von seiner Gegenwart und die treue, nicht egozentrische Mitarbeit mit seiner fortwährenden Selbstoffenbarung.

    So gilt für die Frage der klerikalen Kleidung wie für alles andere in der Seelsorge das Gesetz der Diskretion. Wenn es im momentanen gesellschaftlichen Kontext genügend viele spontan positive Reaktionen geben dürfte, ist die Priesterkleidung unbedingt de rigore zu verwenden. Wenn es nur ungute Reaktionen und Störfeuer gerade von seiten der katholischen Mitchristen geben dürfte, ist Milderung angesagt. Gerade in solche weiser Abmilderung eines an sich weiterbestehenden Anspruchs an sich selbst kann der kirchliche Repräsentant die Luft des Heiligen, die sakrale Andersheit Gottes manchmal am besten weitergeben.

    Sakralität darf nicht zum klerikalistischen Krampf entarten. Dazu vgl. meine Ausführungen in dem Interview, abgedruckt in: M. Frick / F. Wolfschmitt (Hgg.), Begegnungen mit Heinrich Reinhardt (Abensberg 1998), 106; H. Reinhardt, Herz und Auge (Bern etc. 2000), 163: "Vieles am Priestertum (Kleidung ... usw.) war und ist stets der geschichtlichen Veränderung unterworfen".

  65. 2 Kor 4,7.

  66. 2 Kor 1,22; Eph 1,13.

  67. Hebr 12,28 f.



Der Autor


Heinrich Reinhardt, geboren 1947 in Freising (Oberbayern), 1967 - 1972 Studium der Philosophie, Katholischen Theologie und Italianistik in Freising, München, Würzburg und Florenz. 1972 Promotion in Philosophie an der Universität München. Priester des Bistums Chur (Schweiz) und Begründer des Freundeskreises Sankt Nikodemus. Der Verfasser zahlreicher Bücher und Fachartikel, einer der vielleicht letzten Universalgelehrten, gilt als herausragender Experte der lateinischen und griechischen Sprache. Anschrift: CH-7000 CHUR, Alte Schanfigger Straße 7 - 9.

Seit 1995 Professor für Philosophie und Philosophiegeschichte an der Theologischen Hochschule in Chur. Seit 1977 Mitglied der vatikanischen Expertenkommission zur Erarbeitung des Lexicon Recentis Latinitatis. Herausgeber der philosophisch-theologischen Schriftenreihe Auditorium am Priesterseminar Chur. Mitverantwortlich für die Zeitschrift 'Vox Latina' an der Universität Saarbrücken (Deutschland).

Der Beitrag wird im Jahre 2004/2005 in aktueller Version neu dargeboten und aufgelegt, Informationen folgen! Die erstmalige Veröffentlichung im Internet (März 2001) bietet den vom Verfasser orthographisch verbesserten, in den Literaturangaben aktualisierten und um Anmerkungen ergänzten Text eines Aufsatzes, der zuletzt 1994 im Eigenverlag durch Vizeoffizial Mag. Mag. Dr. Alexander Pytlik und erstmals in der Festschrift 25 Jahre Una Voce Austria (Mannswörth 1992) publiziert worden war. Alle Rechte liegen beim Autor Hw. O. Prof. Dr. Heinrich Reinhardt, Chur.



Abschlußbemerkung des Herausgebers:


Die im Eigenverlag produzierte letzte Veröffentlichung wurde anläßlich meiner Primiz am 19. Juni 1994 in der Militärpfarrkirche St. Johann Nepomuk im Anschluß zur Verteilung gebracht. Da ich nur noch ganz wenige Exemplare besitze, ist eine Zusendung nur in Sonderfällen möglich. Die Schrift enthält zwei sehr schöne Erinnerungsphotographien mit + Sr. Exz. Militärbischof Dr. Alfred Kostelecky, die ich noch veröffentlichen werde. Die damalige Schrift trug daher folgende Widmung: "In inniger Verehrung dem traditionsverbundenen ersten Militärbischof von Österreich, Dr. Alfred Kostelecky (* 15. Mai 1920 - + 22. Feb. 1994), gewidmet von dem vierten neugeweihten Priester der Militärdiözese Österreichs am Tage der hl. Primiz, 19. Juni 1994." Außerdem wurde das Sterbebildchen + Bischof Dr. Kosteleckys hineinkopiert: "Voll Dankbarkeit für sein Wirken denken wir im Gebet an Militärbischof Dr. Alfred Kostelecky, der am 22. Februar 1994 unerwartet zu Gott heimgekehrt ist. Er starb im 74. Lebensjahr, im 46. Jahr seines Priestertums und im 8. Jahr seines bischöflichen Wirkens. - Militärbischof Dr. Alfred Kostelecky wurde am 15. Mai 1920 in Wien geboren. 1940 - 1945 leistete er Militärdienst. Am 29. Juni 1948 zum Priester geweiht, wurde er nach seiner Promotion zum Doktor des Kanonischen Rechtes in Rom zum Domvikar in St. Stephan bestellt. Ab 1957 wirkte er leitend im Sekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz. Vom 1. Februar 1967 bis zu seinem Tode gehörte er dem Metropolitan- und Domkapitel zu St. Stephan an. Im März 1977 wurde er zum Sekretär der Österreichischen Bischofskonferenz gewählt, 1980 zum Offizial des Metropolitangerichts bestellt. Am 12. November 1986 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Titularbischof von Aggar und zum ersten Militärbischof von Österreich. 1990 wurde er auf das Titularbistum Wiener Neustadt transferiert. - Eine tiefe Liebe zur Kirche, zu seiner Heimat und zu den ihm Anvertrauten prägten sein Leben. Im Bewußtsein, daß dauerhafter Friede nur auf Gerechtigkeit aufgebaut sein kann, wählte er seinen bischöflichen Wahlspruch: PAX ET IUSTITIA."

(Kirchenrektor Mag. Mag. Dr. Alexander Pytlik, Militärbischofsamt, Wien)



+ Seine Exzellenz, der hochwürdigste Militärbischof von Österreich und Titularbischof von Wiener Neustadt, Dr. iur. can. Alfred Kostelecky, und Hw. Kaplan Dr. iur. can. Alexander Pytlik, MilKapl d Res, am 24. Oktober 1993 in Mariazell anläßlich der feierlichen Aufnahme unter die Kandidaten für Diakonat und Weihepriestertum des Österreichischen Militärordinariates. Beten wir eifrig für die Seele dieser großen und historischen Bischofspersönlichkeit Österreichs! Herr, gib ihm die ewige Ruhe. Und das ewige Licht leuchte ihm. Herr laß' ihn ruhen in Frieden. AMEN.



Liturgieprofessoren forschen historisch und dynamisch im Sinne der von Christus gestifteten katholischen Kirche.

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(Padre Alex)

Lassen wir uns ganz hineinnehmen in das heiligste Opfer Christi, welches in jeder Messe wunderbar und unblutig gegenwärtig gesetzt wird.